In der ersten Reihe alles gute Menschen
Zürich. Es ist zum Lachen. Und zum Weinen schön. Daniela Löffler inszeniert am Schauspielhaus Maxim Gorkis Sozialdrama «Kinder der Sonne». Eine berührende Vorstellung.
Da ist einer zur Ansicht gekommen, dass das Leben schlecht eingerichtet sei, Stichwort: Menschen sind dumm, habgierig et cetera. Doch dann gerät dieser Mensch, der meint, irgendwie ein bisschen besser zu sein als die anderen, in ein Haus, wo alles noch ein bisschen schlechter ist als in seiner Vorstellung. Denn hier sind die Menschen edel und gut – oder wollen zumindest theoretisch Kinder der Sonne sein.
Dieses Gutmenschenhaus, das ist der Salon des Wissenschafters Pawel Protassow und seiner Frau Jelena. Tag für Tag gehen hier die Gäste ein und aus: der Maler Dimitrij, der Jelena liebt, Melanija, eine reiche Witwe, die ihrerseits Pawel liebt, dann der Tierarzt Boris, der Protassows Schwester Lisa liebt. Was für Verhältnisse! Glücklich kann hier niemand werden, es ist zum Verrücktwerden mit dieser Gesellschaft. Denn keiner tut hier etwas richtig, gefangen sind sie in den eigenen Vorstellungen. Der Einzige, der etwas tut, ist Boris. Aber er, der daran glaubte, draussen sein Glück zu finden, hängt sich irgendwann dann an einer Weide auf. Was die Welt auch nicht unbedingt besser macht. Noch immer schlägt Jegor, der Schlosser, seine Frau.
In Zeiten des Aufruhrs
Vom Stillstand einer Gesellschaft, die sich nur um die eigenen Vorstellungen kümmert, erzählt «Kinder der Sonne». Maxim Gorki hat das Stück 1905 in den vier Wochen geschrieben, die er wegen «revolutionärer Umtriebe» in Festungshaft in Sankt Petersburg verbrachte. Von der Zeit des Aufruhrs ist aber in diesem Drama, das auch eine Gesellschaftskomödie ist, nur wenig zu spüren. Ausser dass die Menschen hier unglücklich mit ihren ganz privaten Verhältnissen sind. Jeder liebt hier einen anderen. Aber am liebsten sind alle ganz für sich allein. Ein bisschen Angst, dass es bald zum Ende dieser Gesellschaft kommt, gehört auch dazu.
Sie riecht in Zürich nach Wachs. Daniela Löffler lässt ihre Inszenierung von Gorkis «Kinder der Sonne» in einem abgeschotteten Raum spielen, er gleicht einem Gefängnis mit recht freundlichen Wänden. Claudia Kalinski hat ihr eine Wabenkonstruktion auf die Bühne des Pfauen gestellt. Türen auf die Seite und nach hinten gibt es hier nicht. Die Schauspielerinnen und Schauspieler nehmen in der ersten Reihe im Parterre Platz. Von hier treten sie auf, an ihre Plätze gehen sie wieder zurück. Und schauen dann zu, was die anderen mit den Figuren machen. Wir staunen mit ihnen in jeder Szene, wie «erstaunlich interessant» diese Menschengeschöpfe doch sind.
Denn die zehn Schauspielerinnen und Schauspieler, die auf dieser Bienenstockbühne stehen, machen das alle grossartig. Rainer Bock als Protassow: ein zögerlicher Mann, überfordert von allen Menschen, die ihm zu nahe kommen wollen. Kinder der Sonne will er um sich haben, ein Kind ist er selber geblieben. Seine Frau Jelena (Friederike Wagner) dementsprechend: eine Liebende, wo eigentlich keine Liebe sein kann, abwehrend in den Bewegungen und doch hingezogen zu einem besseren Leben, was wie Dimitrij (Nicolas Rosat) ausschauen könnte. Oder auch wie Melanija (Isabelle Menke). Dieses Glück suchen auch die anderen, doch es ist zum Verrücktwerden, immer stehen sie ein paar Schritte zu weit beiseit. Jede Annäherung muss scheitern, wie die Liebe von Lisa zu Boris (Julia Kreusch, Sean McDonagh), die beiden geben sich auf der Bühne als die unglücklichsten Kinder unter der Sonne aus.
Verrückt gut ist Franziska Machens als Dienstmädchen, grandios ihre Teeservice-Nummer. Und wenn sie mit Hausbesitzer Mischa (Milian Zerkawy) ein Lied singt, ist das zum Weinen schön. Am Schluss schmilzt die Bühne vor sich hin. Grosser Applaus.
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