Kraftlose Grundsatzrede
berlin. Breite Schultern wollte die Grosse Koalition zeigen und beweisen, dass Union und SPD auch grosse Probleme angehen. Die Regierungserklärung der Kanzlerin gestern belegt das nicht.
Vom nötigen «Kompass» hat Angela Merkel schon häufig gesprochen, wenn sie erklären sollte, wohin die Reise ihrer Kanzlerschaft geht. Gestern definierte sie in ihrer ersten «grossen» Regierungserklärung diesen Kompass als «soziale Marktwirtschaft», mit Prinzipien, die «zeitlos gültig» seien. Für die Regierung von Union und SPD gelte: «Im Zweifel handeln wir für den Menschen.» Es sind solche Sätze, die selbst Kommentatoren zum Wahnsinn treiben, die der Kanzlerin wohlgesonnen sind. Hat je eine Regierung verkündet, im Zweifel gegen die Menschen zu entscheiden?
Linken-Fraktionschef Gregor Gysi plädierte für mildernde Umstände für die nach wie vor an den Folgen eines Unfalls leidenden Kanzlerin: «Ich hatte im letzten Jahr auch einen Skiunfall. Wir müssen einfach beide lernen, altersgerecht Sport zu treiben.» Auch Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wünschte gute Besserung, aber in der Debatte nach Merkels Rede attackierte er die Kanzlerin so hart wie vor ihm Gysi: «Was ist eigentlich Ihre Idee? – von Europa, Deutschland und überhaupt in den nächsten vier Jahren, Frau Merkel?»
Deutliche Worte zu NSA-Affäre
Im Vorfeld der Regierungserklärung schrieb die Berliner «taz»: Merkel sei «immer irgendwie» … wie Merkel eben. Unfassbar. In einem Punkt allerdings gab die Kanzlerin gestern eine Kostprobe ihres analytischen Denkvermögens. Erstmals anerkannte sie die Dimensionen von Snowdens NSA-Enthüllungen. Nun wisse man, dass es eine «umfassende, intransparente Kontrolle» des Internets gebe und «über jeden Menschen» Daten gesammelt würden.
Amerika und Grossbritannien pflegten «ein Vorgehen, bei dem der Zweck die Mittel» heilige und alles technisch Machbare auch gemacht werde. Dies aber «verletzt Vertrauen, es sät Misstrauen», sagte Merkel und folgerte daraus: «Am Ende gibt es nicht mehr, sondern weniger Sicherheit.» Der bisherige rechtliche Rahmen sei ungenügend. «Mag sein», sagte sie, dass es unrealistisch sei, weiter über ein Anti-Spy-Abkommen zu verhandeln, aber sie werde es tun, «mit der Kraft» ihrer «Argumente».
Nichts Konkretes zu Europa
Vergleichsweise wenig nur und allgemein handelte Merkel Europa ab. Einzig ihre Aussage zur neuen, von der CSU entfachten Einwanderungsdebatte liess aufhorchen: Juristisch zu prüfen sei, wer aus welchem EU-Land Anspruch habe auf deutsche Sozialleistungen. Gregor Gysi kritisierte Merkels bisheriges Spardiktat für schwächelnde EU-Staaten scharf: Eine Folge sei Massenarbeitslosigkeit bei Jugendlichen in Europa. Unionsfraktionschef Volker Kauder akzeptierte diesen Tatbestand, forderte aber gleichzeitig, dass künftig bei EU-Anwärtern nicht nur deren wirtschaftliche Potenz geprüft werde, sondern auch die «Rechtsstaatssituation». Von der Türkei sei dies zur Kenntnis zu nehmen. Im Übrigen verteidigten Unionsredner die umstrittene Rentenreform der GroKo, deren Finanzierung Union und SPD kommenden Generationen vererben wollen. Nein, eine Sternstunde politischer Streitkultur konnte Merkel mit ihrer Rede nicht zünden, weil «Sie falten die Hände zur Raute und sagen schöne Worte» (Anton Hofreiter).
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