«Kunst macht die Stadt unverwechselbar»
Art and the City und der Hafenkran sind nur einige der aufsehenerregenden Projekte, die Christoph Doswald in Zürich initiiert hat. Der Vorsitzende der Zürcher Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum kommt heute zu einer Podiumsdiskussion nach Winterthur.
Die Berliner Senatsbaudirektorin Regula Lüscher vertrat auf einem Ihrer Symposien in Zürich die Meinung, Kunst im öffentlichen Raum sollte Ruhestörung sein, denn Standbilder hätten wir genug. Hat der Steuerzahler ein Recht auf Ruhestörung? Christoph Doswald: Die Aussage ist provokativ und ein bisschen apodiktisch. Denn auch Stilles kann nachhaltig wirken. In urbanen Zentren muss eine grosse Vielfalt und Breite an künstlerischen Interventionen möglich sein, von Installationen und Skulpturen bis zu Performances oder partizipativen Projekten. Standbilder haben wir übrigens seit dem Historismus nicht mehr aufgestellt. Sie sagten an der gleichen Veranstaltung: «Kunst im öffentlichen Raum formt Stadt-Identität». Können Sie dafür Beispiele nennen? Kunst wirkt generell als einzigartige kulturelle Manifestation und ist darum an sich schon eine Identitätsbehauptung. Steht sie im öffentlichen Raum, kommt dieser Aspekt noch stärker zum Tragen und wird häufig zum Gegenstand von Diskussionen und Debatten. Durch diesen Prozess macht sie den Stadtraum unverwechselbar; das ist gerade heute, wo die Bauten immer normierter werden, besonders wichtig. Beispiele? Heureka von Jean Tinguely gehört inzwischen mit Sicherheit zum Stadtbild von Zürich. Als wir sie vor drei Jahren für ein Ausstellungsprojekt nach Holland ausgeliehen haben, erhielten wir unzählige besorgte Mails und Anrufe. Ähnliches ist passiert mit der Pavillonskulptur von Max Bill, die in der Bahnhofstrasse steht. Sie war bei der Installation vor 30 Jahren äusserst umstritten, besitzt eine hohe Eigenständigkeit, wirkt als Kontrast zu den historistischen Bauten und gehört zur Bahnhofstrasse wie das Alfred-Escher-Denkmal vor dem Bahnhof. Seit Sie 2009 Ihr Mandat als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum (AG KiöR) in Zürich antraten, haben Sie für den Hafenkran gekämpft. Worum ging es Ihnen dabei mehr: um einen Hingucker für Touristen oder um Ihr Ego? Weder noch. Der Hafenkran geriet zwar zur kulturpolitischen Streitfrage, aber wir haben uns vor allem deswegen dafür so starkgemacht, weil wir vom Werk überzeugt sind. Der Hafenkran ist aus einem Wettbewerb als Sieger hervorgegangen. Man wollte der Frage nachgehen, was auf dem ehemaligen Fleischhallenareal in Zukunft passieren sollte. Bis in die 1930er-Jahre stand dort das Zürcher Schlachthaus. Seit dem Abriss gibt es eine Debatte, was an diesem attraktiven Standort direkt am Fluss passieren soll. Die Präsenz des Krans trägt zur Meinungsbildung bei. Der Kran hat gezeigt, welche Dimensionen der Platz hat und welches Volumen er erträgt. Dass er Touristen anzieht, ist ein ungewollter, aber angenehmer Nebeneffekt. Darf man Kunst abbauen, und wenn ja, was sollte man dann mit den ausrangierten Objekten machen? Man darf und muss das manchmal tun, weil sich Bedürfnisse entwickeln, weil sich Rahmenbedingungen ändern. Wir haben in Zürich immer wieder erlebt, dass sich im Rahmen der Neugestaltung von öffentlichen Plätzen neue Kontexte ergeben. Dann muss man für das Kunstwerk einen neuen Standort suchen oder das Objekt einlagern. Was wir nicht tun: Wir zerstören keine Kunstwerke. Denn Kunstwerke sind Zeitzeugen, sie liefern wichtige Informationen über den Geist und die Haltung der Menschen, die sie beauftragt oder installiert haben. Ab wann ist Kunst im öffentlichen Raum eigentlich Kunst? Ich denke zum Beispiel an Skulpturen auf Verkehrskreiseln, sind die auch Kunst? Alles, was behauptet, Kunst zu sein, ist auch Kunst. Ob es gute oder schlechte Kunst ist, ist eine andere Frage. Und manchmal gibt es auch andere Kriterien, zum Beispiel einen regionalen Bezug zu einem Künstler aus dem Ort. Dann spielt dieser Faktor eine grössere Rolle als das reine Qualitätskriterium. Wer sich mit Kunst beschäftigt, weiss zudem, dass die zukünftige Bewertung eines Werkes nicht kalkulierbar ist. Deshalb plädiere ich bei Kunst im öffentlichen Raum für eine länger angelegte Testphase. Wenn sich dann nach zehn oder fünfzehn Jahren zeigen sollte, dass das Werk an Relevanz verloren hat, kann es auch wieder entfernt oder umplatziert werden. Sollte man Investitionen in Kunst am Bau prozentual an die Bausumme koppeln? Oder wäre es besser, als Stadt projektspezifisch aus einem Fonds verfügen zu können? Man könnte durchaus darüber nachdenken, dass man die Gelder umverteilt. Das wird ja bereits in anderen Städten so gemacht. Aber in Zürich fährt man mit der jetzigen Regel gut, die Bauinvestition an die Kunst zu koppeln. Das wurde in 1960er-Jahren vom Stadtrat eingeführt und hat sich bewährt. In Winterthur gibt es auch Stimmen, die fordern, man solle überproportional an Orten investieren, die stark frequentiert sind, während Bauten, die öffentlich kaum beachtet werden, geringere Kunstkredite erhalten sollten. Wäre das ein Ansatz? Das halte ich für keine gute Idee. Der Reiz der Kunst besteht ja darin, die Trampelpfade zu verlassen, unbekannte Territorien zu begehen. Hinzu kommt, dass sich die Stadt vor allem an den Rändern entwickelt. Nur wenn wir immer wieder mal das Zentrum verlassen, erreichen wir Menschen, die sonst wenig mit Kunst in Berührung kommen. In Zürich haben wir dafür dezidierte Programmpunkte entwickelt, zum Beispiel den «Lokaltermin Schwamendingen». In Schwamendingen wird in den nächsten Jahren ein Autobahnabschnitt überdeckt und es entsteht ein grosser Park. Das verändert das Quartier entscheidend. Mit unserem Kunstprogramm begleiten wir diesen Transformationsprozess. Welche lehrreichen Erfahrungen haben Sie als Vorsitzender der AG KiöR in den letzten fünf Jahren gemacht? Wir haben nach der Nagelhaus-Abstimmung sehr stark darüber nachgedacht, inwiefern zeitliche Begrenzung als Chance für Kunst im öffentlichen Raum begriffen werden kann. Und wir haben festgestellt, wie wichtig eine inhaltliche Vermittlung ist, um diese einzigartigen Transformationsprozesse, denen die Städte momentan unterliegen, bewältigen zu können. In diesem Spannungsfeld kann die Kunst eine sehr wertvolle Vermittler- und Katalysatorfunktion ausüben. Denn im Spannungsfeld von Kunst und Gesellschaft entstehen Diskussionen. Und solche Gespräche sind wichtig: Sie sind der Ursprung jedes demokratischen Prozesses. Kunst im öffentlichen Raum: Heute 18.30 Uhr, Begehung der Installation «Ich ist ein anderer» auf dem Perron 4/5 im Hauptbahnhof. 19.30 Uhr, Café des arts in der Kunsthalle, Marktgasse 25, mit Christoph Doswald, Gabriele Obrist und Tanja Scartazzini; Moderation Paolo Bianchi.
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