Stille Suche nach der verlorenen Zeit
Mit unserem Verhältnis zur vergehenden Zeit beschäftigt sich eine Ausstellung in der Galerie Weiertal. Eine konsequent durchkomponierte Schau.
«A la recherche du temps perdu» – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit: So nennt die Kuratorin Maja von Meiss die Ausstellung von zwei Künstlerinnen und zwei Künstlern im Kulturort Weiertal. Das geflügelte Motto ist identisch mit dem Titel des epochalen Romanwerks von Marcel Proust. Die Bedeutung von «le temps perdu» in der Ausstellung entfernt sich jedoch von der Vorlage. Traum- und Himmelbilder Zu Beginn trifft man auf die Werke des Malers Urs Amann. Es sind Bilder, auf denen luftige Schleier die Landschaften mehr erahnen als erkennen lassen. Mondlicht, Schatten und Nebel umhüllen die Konturen von Seeufern und Flusstälern. Amanns Bilder erinnern an die Gemälde des deutschen Romantikers Caspar David Friedrich. Obwohl Amanns Staffelei oft in den Tessiner Tälern steht, verwendet er Motive, die von innen kommen, die von Fantasien erzeugt sind. Ebenso in den Elementen Luft und Wasser bewegen sich die Werke von Maria Regina Isliker im grösseren Raum der Ausstellung. Sie sind zum Teil sehr hoch gehängt. Das leuchtet ein. Sie zeigen fliessende Bewegungen, in denen man über den Himmel ziehende Wolken erkennen mag, oder Wellen und Schatten auf dem Meer. Hellblau und Türkis, wie im Wasser und am Himmel, sowie die Gelbtöne des späten Tageslichts herrschen vor. Die Bilder sind alle quadratisch und meist grossflächig. Es scheint, als ob darin die durch die Weite ziehenden Wellen und Wolken in ihrer Bewegung für einen Augenblick festgehalten wären – festgehalten wie die längst verflossene und damit verlorene Zeit. Demgegenüber sind Amanns fantastische Bilder völlig aus der Zeit gefallen. Sie erscheinen im Traum, in einer Welt, in dem der menschliche Zeitmassstab keine Gültigkeit hat. Gewachsene Strukturen Horst Gfrerers Skulpturen wiederum reichen in der Zeit weit zurück. Sie bestehen aus Holz, das in seinen Jahrringen den Zeitverlauf offenbart. In vielen dieser Werke verändert Gfrerer die Form des Holzstücks weniger, als dass er sie hervorhebt. Er spaltet die Hölzer, öffnet sie den natürlichen Bruchlinien entlang. Dass er die Hölzer während seiner Arbeit angezündet hat, scheint eine logische Folge davon. Die Brandspuren weisen auf ein zeitliches Ereignis hin, nämlich den Schaffensprozess, der ebenfalls in der Vergangenheit liegt. Die Verwandlung des aus der Erde entwachsenen Holzes in das Element Feuer wird dennoch deutlich. Dieses Feuer wiederum strebt nach oben, zu den luftigen Bildern von Maria Regina Isliker, und spiegelt sich dort in den Goldtönen. Spätestens hier wird deutlich, wie stringent die Ausstellung komponiert ist. Die vierte Künstlerin, Eva Stucki, ist mit kleinen Formaten in einem kleinen Raum zugegen. Ihre Bilder zeigen fein ziselierte Strukturen, verästelte Flechten. Wie Urs Amann bevorzugt sie Grautöne. Die kleinen Kunstwerke wirken fast wie gestickt – ein Arbeitsvorgang, der viel Zeit beansprucht. Innehalten und durchatmen Auf diese Weise lösen die vier Künstlerinnen und Künstler das Motto der vergangenen Zeit ein. Die Kunstwerke bewahren etwas von der Zeit, die den Menschen im Alltag zunehmend abhandenkommt. Eines von Eva Stuckis Bildern hebt sich indes davon ab. Es zeigt knallrote Hagebutten vor grauem Winterlicht. Im Rot liegt die Erinnerung an einen vergangenen Sommer. Dies verweist wiederum auf das Werk von Proust, in dem die Arbeit der Erinnerung dazu dient, die Vergangenheit zu rekonstruieren. Die konsequent durchkomponierte Ausstellung verströmt eine tiefe Ruhe und erlaubt ein Innehalten und Durchatmen. Die leichte Melancholie, die sie ebenfalls entfaltet, gehört dazu. Es ist gewiss keine verlorene Zeit, die Ausstellung zu besuchen. Christian Felix A la recherche du temps perdu: Galerie Weiertal, Rumstalstr. 55. Mi–Sa 14–18 Uhr, So 11–17 Uhr. Bis 6. 9.
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