Warten auf das Ende
Der Hamburger Rapper Samy Deluxe macht als Herr Sorge wenig Hoffnung auf Rettung. Die Botschaft seines neuen Albums mit dem schönen Titel «Verschwörungstheorien mit schönen Melodien» lautet: Die Welt geht sowieso unter.
Herr Sorge hat lange Haare und einen Bart, ist geschminkt, trägt Hut und einen Sonnenschirm – und macht alles andere als einen seriösen Eindruck. Herr Sorge bringt schlechte Nachrichten: die Menschen, die Welt, alles am Ende. Darf der das? Wer will das hören? Dass sich Herr Sorge öffentlich so seine Gedanken macht, daran ist Samy Deluxe schuld. Der Hamburger Rapper, Jahrgang 1977 und mit bürgerlichem Namen Samy Sorge, steckt im Kostüm des modernen Narren und macht uns mit seiner «fröhlichen Weltuntergangsmusik» tolle Angst. Ist etwa doch bald alles vorbei?
Herr Sorge braucht für seine Prophezeiungen nicht einmal einen Blick in den Maya-Kalender zu werfen, denn Herr Sorge geht in seinen «Verschwörungstheorien mit schönen Melodien» davon aus, dass die Welt so oder so untergehen wird, früher oder später. Der Befund des Albums ist eindeutig: Alles läuft irgendwie scheisse. Die Menschen sind dumm, sie verpesten die Umwelt, sind nur auf Geld und Besitz aus. Es herrschen Egoismus, Korruption, Amoral, Ignoranz und Sprachlosigkeit, nicht unbedingt Tugenden, die eine positive Zukunft garantieren. Nicht zu vergessen Klimakatastrophe, Taliban, Krebs, Aids oder Aliens, weitere plausible Gründe für ein jähes Ende.
Ein bisschen Eskapismus
«Sind Sie hoffnungslos? Dann ziehen Sie ein Hoffnungslos», rät Herr Sorge im kurzen Drehorgelstück «Los ziehen», in dem er den Jahrmarkthändler gibt, der das Geschäft seines Lebens wittert. Oder er schlägt gleich zu Anfang vor: «Komm, lass uns tanzen gehen, während diese Welt untergeht», und der Beat setzt ein und beschleunigt. Ein bisschen Eskapismus muss sein. Ansonsten quält uns Samy Sorge ganze 19-mal mit deprimierenden Einsichten und düsteren Prognosen zwischen «Zukunft vorbye» und «Frustsong», «Idiokratie» und «Amnesie International», zwischen persönlichem und weltlichem Untergang. Es gibt kein Entkommen: Während dunkle Breakbeats, krude Synthiesounds, hysterische Streicher, aggressive Bassdrums erst gar keine Zuversicht aufkommen lassen in der schroffen Endzeitmusik aus Elektropop, New Wave, Dubstep, Grime und Schlumpftechno, künden vom Unheil viele Stimmen, ob piepsend oder grunzend, ob engelsgleich oder teuflisch – der bewusst übertriebene Einsatz des Auto-Tune-Effekts macht es möglich.
Herr Sorge macht Ernst
Für die angekündigten schönen oder fröhlichen Momente ist in der Weltuntergangssinfonie des Herrn Sorge verständlicherweise kein Platz mehr. Selbst Zeilen wie «Das Leben ist so schön» oder «Wundervolle Welt» täuschen und taugen nicht einmal als Beispiel für Zwangsoptimismus; so süffisant, wie sie vorgetragen werden, so zynisch, wie sie eingebettet sind. Herr Sorge macht eben ernst mit seinen Liedern vom Ende, auch wenn er früh zugeben muss: «Nein, ich habe keine Lösung, ich habe nur gute Texte.» Das ist doch immerhin etwas, und für einen Künstler, der ein in Idee, Umsetzung und Konsequenz überzeugendes Konzeptalbum aufgenommen hat, ist das sogar sehr viel. Mögen die deftigen Zustandsbeschreibungen von Mensch und Welt und deren häufige Wiederholungen, das absurde Stimmengewirr, die irre und kühle Musik auch anstrengend sein: Das ist kein Spass. Das ist kein Wunschkonzert. Das ist Weltuntergang.
Und der wird in einer Weltuntergangsgala am 20. Dezember im Hamburger Thalia-Theater gefeiert. Eine Performance aus Konzert, Satire, Vortrag und Tanz ist angekündigt. Herr Sorge und seine Musiker, die Sorgenkinder, werden natürlich dabei sein. Und falls der Untergang auf sich warten lässt, wird die Gala 2013 noch auf Tour gehen.
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