Wenn alter Plunder Erinnerungen weckt
Wenn im Sommer die Wetterprognosen und die Realität gleichermassen mies daherkommen, sind «Was-ich-schon-längst-hätte-machen-wollen-Ferien» angesagt. Das sind zwar keine Ferien, sondern das gehört in die Kategorie «Räumungsaktion», oder es ist eine Übung im Loslassen. Endlich Zeit, um Kästen und Keller auszumisten, Kleider zu ordnen, sie in die Kleiderbörse zu bringen. Was ich ein Jahr lang nie getragen hab, werde ich auch in Zukunft nicht brauchen. Das sind weise Sätze von modischen Menschen.
Sobald ich anfange zu sortieren, entdecke ich eine vergessene Jacke, die sich nach einem Bügeleisen sehnt, sowie die Bluse mit den Tulpenärmeln. Da werde ich den Verdacht nicht los, dass diese «Weg-damit-Prediger» einen lediglich in Versuchung führen wollen, etwas Neues zu kaufen. Denn zur Tulpenärmelbluse passt kein bereits vorhandenes Unterteil. Kluge (oder solche mit kleinen Kleiderschränken) wissen: Nur etwas Neues kaufen darf man, wenn etwas Altes weggeht. «Simplify your life» und befreie dich vom Überfluss, verkünden die Entrümpelungstheoretiker. Ich kenne die Logik und das tolle Gefühl nachher, wenn ich mich einer Autoladung voller Unbrauchbarem entledigt habe. Es fragt sich jedoch: Was ist wirklich überflüssig?
Diesen Räumungsaktionen haftet etwas Wehmut an. Zwischen Ausrangiertem und Aufbewahrtem kommt der ganze Rattenschwanz der Erinnerung daher, wo man was und wieso gekauft hat. Und jedes Stück erzählt eine Geschichte. Das Durchforsten der Vergangenheit ist manchmal süss, dass ich rasch in die Fotoalben gucken muss, wie alt die Kinder waren, als sie an dem farbigen Pültchen sassen, das nun im Keller verstaubt. Kann man so etwas überhaupt entsorgen? Für mich ist das eine ambivalente Sache: Zwischen dem Bedürfnis, Materielles loszuwerden, und der Fürsorge, was noch irgendwer irgendwann gebrauchen kann, zu entscheiden, da tun sich Gräben auf.
Niedlich stehen da die alten Gummistiefelchen, ein Koffer, vollgeklebt mit Etiketten, mit dem niemand mehr verreisen will, ein ausrangierter Drucker, das aus den Fugen geratene CD-Gestell, Kisten mit Zeichnungen, Schulheften, Souvenirs aller Art und zwei Korbstühle, die mich sentimental stimmen. Mein Wiederverwertungswahn spielt mir einen Streich: Mit neuer Farbe kommen die Stühle wieder zu Ehren, schliesslich waren sie einst Prunkstücke meiner Wohnung. Zum Glück sind die Malutensilien noch nicht in der Entsorgungsstation gelandet.
Trotzdem wird die Fahrt zum Recyclingcenter belohnt, nicht nur wegen des herrlichen Gefühls, sich von altem Plunder getrennt zu haben, sondern weil sich dort wunderbare Studien treiben lassen über Beziehungsverhältnisse. Manchen Paaren steht die Meinungsverschiedenheit, die dem Ausflug voranging, ins Gesicht geschrieben. Männer stemmen heroisch elektronische Geräte in den Container und Frauen triumphierend die alten Gartenmöbel. Und grad noch rechtzeitig schnappte ich mir ein kleines Eisentischchen, das ein Herr schwungvoll in die Mulde werfen wollte. Das perfekte Ding für mein Balkönchen. Es muss nur entrostet, gemalt und lackiert werden.
Ferien hatte ich eigentlich keine. Es war alles sehr anstrengend, eine Aktion rief der nächsten. Die zu neuem Leben erweckten, frisch gestrichenen Korbstühle erhielten ihren rechtmässigen Platz, doch jetzt passt der Teppich nicht mehr, und andere Kissen müssen her. Hätte ich bloss die Kiste mit den Stoffresten nicht weggeschmissen.
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