Wenn Frauen Kinder missbrauchen
Es gibt auch Frauen, die Kinder sexuell misshandeln. Genaue Zahlen kennt man nicht. Fachleute schätzen jedoch, dass 10 bis 25 Prozent der Täter weiblich sind.
Das Opfer zweifelt an seiner eigenen Urteilskraft. «Kein Mensch wird von einer Frau misshandelt. Ich muss verrückt sein», sagt eine Frau, die von ihrem vierten Lebensjahr an regelmässig sexuell missbraucht worden ist – von ihrer Mutter und ihrer Grossmutter. Die Erkenntnis scheint der Betroffenen zu abartig, ist aber traurige Realität: Es gibt Frauen, die Kinder sexuell misshandeln. Zwischen 10 und 25 Prozent der Täter sind weiblich, schätzt Monika Egli-Alge, Geschäftsführerin des Forensischen Instituts Ostschweiz (Forio). Egli-Alge begutachtet und behandelt unter anderem auch Straftäterinnen. Genaue Zahlen gibt es nicht, die Forschung zum Thema ist bescheiden und lässt nur Schätzungen zu. Von Babysitterin belästigt Letzte Woche sorgten gleich zwei solche Fälle für Schlagzeilen. «Baywatch»-Star Pamela Anderson sagte in einem Interview, sie sei als Sechsjährige von ihrer Babysitterin sexuell belästigt worden. Am Mittwoch musste sich eine 36-Jährige vor dem Bezirksgericht Meilen verantworten. Ihr wird vorgeworfen, einen 14-jährigen Schulfreund ihrer Tochter sexuell ausgebeutet zu haben. Über Monate und regelmässig soll sie mit ihm Geschlechtsverkehr gehabt haben. Ansonsten ist es um das Thema Täterinnen aber erstaunlich ruhig. In der Debatte zur Pädophileninitiative etwa kamen missbrauchende Lehrerinnen oder Trainerinnen nicht vor. Egli-Alge erklärt dies unter anderem mit dem Weiblichkeits- und Mütterlichkeitsmythos, der sich in unseren Köpfen immer noch festhält. «Frauen haben in unserer Vorstellung eine fürsorgliche Rolle. Man traut ihnen solche Taten schlicht nicht zu.» Die Realität ist eine andere. Fallbeispiele belegen, dass Frauen zu ebenso abscheulichen Taten fähig sind wie Männer. «Ausser der Tatsache, dass Frauen keinen Penis haben, scheinen sie Kinder auf die gleichen Arten sexuell zu missbrauchen wie Männer», schreibt Cianne Longdon, Therapeutin und selbst Missbrauchsopfer, in einem Artikel. Verwirrt und schuldig gefühlt Im Buch «Frauen als Täterinnen»* berichten Betroffene, wie sie von Frauen zu sexuellen Handlungen gezwungen wurden. Als Kind musste eine Frau ihre Mutter mit den Händen befriedigen. Eine andere wurde von ihrer Mutter mit Gegenständen penetriert. Ein Mann erzählt, wie er als Kind von seiner Tante zum gegenseitigen Oralsex gedrängt wurde. Später kam es auch zum Geschlechtsverkehr. Dass er eine Erektion bekam, obwohl ihm die Sache nicht gefiel, verwirrte den Jungen zusätzlich. Biologisch ist dies durchaus möglich. «Ich dachte, ich müsse es anscheinend selber gewollt haben, sonst hätte auch mein Körper nicht reagiert», schildert ein weiterer Mann seine Erlebnisse. Er wurde bis zum 14. Lebensjahr von seiner Mutter missbraucht. Wenn seine Mutter mit ihm schlief, hatte er nur einen Gedanken: «Hoffentlich ist es bald vorbei.» Opfer tendenziell jünger Die Taten von Frauen und Männern unterschieden sich nicht wesentlich, sagt auch Monika Egli-Alge. Einige Unterschiede könne man aber feststellen. So seien die Opfer von Frauen tendenziell eher jünger als bei Männern, meist unter 10-jährig. Der Missbrauch passiere häufig subtiler. «Die Grenzen werden immer wieder geritzt. Das Kind merkt anfänglich nicht wirklich, was geschieht, bis es an einem Punkt ist, wo es kein Zurück mehr gibt.» Gleichzeitig stelle man bei Täterinnen aber auch einen höheren Anteil an sadistischen Handlungen fest. Ein weiterer Unterschied: Frauen haben häufiger einen «besseren», weil unüberwachten Zugang zu Kindern. Beim Stillen, Wickeln, Anziehen oder Waschen entsteht zwangsläufig Körperkontakt. «Ein sexueller Missbrauch ist in diesem Kontext schwieriger als solcher zu erkennen», sagt Egli-Alge. Bedürfnis nach Macht Was bringt Frauen dazu, Kinder sexuell zu missbrauchen? «Im Vordergrund steht nicht die sexuelle Befriedigung, sondern das Bedürfnis nach Macht und Kontrolle, aber auch Nähe, Zärtlichkeit, Körperkontakt und Intimität», schreibt Alexander Markus Homes im Buch «Von der Mutter missbraucht». Einige Frauen werden von ihren Partnern zum Missbrauch gedrängt. Andere handeln eigenständig und sehen in ihrem Opfer zum Beispiel einen Ersatzlebenspartner, der, weil kontrollierbar, weniger bedrohlich wirkt. Ob es Frauen mit pädophilen Neigungen gibt, ist nicht erforscht. Eine Person gilt dann als pädophil, wenn sie sich sexuell von Kindern angezogen fühlt. «In der Fachwelt ist das Thema umstritten. Ich sehe aber keinen Grund, warum es Pädophilie nicht auch bei Frauen geben sollte», sagt Egli-Alge. Täterinnen sind zudem häufiger als männliche Täter selbst als Kinder sexuell missbraucht worden. Der Missbrauch wird mit vertauschten Rollen re-inszeniert, schreibt Homes. Das erlebte Gefühl von Hilflosigkeit und Ohnmacht kompensieren diese Frauen, indem sie selber erniedrigen, die Kontrolle übernehmen und so der Opferrolle entkommen. Ein Teufelskreis – doch kein zwingender. Längst nicht jedes Opfer wird selber zum Täter. «Es spielen immer mehrere Faktoren mit. Es gibt keine einfache Erklärung, warum jemand zum Täter wird», sagt Egli-Alge. Und: Es sei durchaus möglich, aus der Täterrolle auszubrechen. Die meisten Personen seien therapierbar. «Eine erfolgreiche Therapie ist der beste Opferschutz», sagt Egli-Alge. Traumatisches Lebensereignis «Ein sexueller Missbrauch ist in jedem Fall ein traumatisches Lebensereignis», sagt Monika Egli-Alge. Für Opfer, aber auch für Täter sei es wichtig, das Erlebte angemessen und wirksam bearbeiten zu können. Sie müssten sich eingestehen, dass dieses tragische Ereignis Teil ihrer Lebensgeschichte ist und bleibt. «Diese Tatsache ist unumstösslich, das kann man nicht mehr rückgängig machen. Damit zu leben, ist wahnsinnig hart.» Die Erfahrung zeige aber auch, dass viele Menschen teilweise grosse, individuelle Widerstandsfähigkeiten hätten und es schafften, trotz widriger Umstände ein hinreichend erfülltes und gutes Leben zu führen. «Frauen als Täterinnen – sexueller Missbrauch an Mädchen und Jungen», Michele Elliot (Hrsg.), Verlag Mebes & Noack
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch