Wir sind Zürich!
zürich. Jeder steht für sich allein. Aber hundert Menschen sind zusammen eine Stadt: nämlich «100% Zürich». Rimini Protokoll zeigen im Theaterhaus Gessnerallee eine statistische Kettenreaktion.
Nummer 1 ist eine Frau, Altersklasse 45–64, Nationalität Schweiz, wohnhaft im Stadtteil Kreis 7, Stadtspaziergängerin, Weintrinkerin, Mieterin, wie sie sagt: «Ich bin schon etwa 40-mal gezügelt.» In den Kreis tritt Simone Nuber, Direktorin von Statistik Stadt Zürich, sie ist der Ausgangspunkt für ein Spiel, das vom Hundertsten ins Tausendste geht. Genau 393 865 Menschen leben real time in Zürich (Stand: vorgestern), Simone Nuber verkörpert einen Teil davon, und mit ihr kommen der Reihe nach alle anderen auf die Bühne: Max Brunner, der mit ihr die Leidenschaft für Single Malt und Architektur teilt, Helen Hürlimann, die aus anderen Verhältnissen kommt, sie hat wiederum Margrit Eicher eingeladen, die Peter Schneider mitbrachte, der Kathrin Hönig kennt – und so weiter und so fort, über Rentner, Schülerinnen, einen Schweizer-Örgeli-Spieler, eine Lennon-T-Shirt-Trägerin bis zu Nummer 100: Rosanna Raths-Cappai, Nationalität Italien, Stadtkreis 2, Seconda, Mutter, Besucherin des Café Schwarzenbach. Dann sind 100% Prozent Zürich zusammen – 100 Menschen spielen eine ganze Stadt, en gros und en détail.
Gruppenbild mit Dame
Die Zusammensetzung der Gruppe auf der Bühne entspricht ganz dem Bevölkerungsmodell: Sechs von hundert sind unter sechs Jahre, 16 über 65 Jahre alt, 70 sind Schweizer, einer wohnt im Kreis 1. Die Tortendiagramme der Statistik, die aus Menschen natürliche Personen macht, bekommen in diesem Projekt von Rimini Protokoll, das am Donnerstag im Theaterhaus Gessnerallee Premiere hatte, für einmal ein Gesicht. Und wieder bringt das Regie-Trio Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel Experten der Wirklichkeit auf die Bühne, wie sie das schon immer gemacht haben in ihren (Zürcher) Arbeiten von «Call Cutta» bis zur Rekonstruktion der Aufführung «Der Besuch der alten Dame».
Auch in «100% Zürich» zeigen Rimini Protokoll eine wunderbare Welt der Übertragung, sie fusst auf der Erfahrung ähnlicher Projekte in anderen Städten: von Berlin über Melbourne, London oder Oslo. Zürich steht aber ganz für sich. Nur schon die Vorstellungsrunde ist ein Theater für sich. Da sind die Selbstdarsteller, die sich immer in den Vordergrund stellen. Da die Menschen, die auf einem Gruppenbild immer nur halb zu sehen sind. Und natürlich ist da der Rest dazwischen.
Im Zentrum, am Rand
Sehr spielerisch ist diese Anlage, und sie lässt allen viel Raum auf den hundert Quadratmetern Bühne, die das Modell für eine ganze Stadt ist. Dieser Kreis lässt sich begehen, Viertel für Viertel, Stunde für Stunde, von Frage zu Frage: Wer wohnt wo? Wer macht was? Zu welcher Zeit? Wir sehen, was hier im Zentrum steht – und sich an den Rändern tut.
Man spielt Masse Mensch, 7000 Kilogramm Zürich stehen auf der Bühne, das ist hier das Gewicht der Welt. Immer wieder wechseln die Konstellationen. Wer war dieses Jahr in Miami? Zwei Frauen. Wer hat diesen Monat schon geweint? Auch hier sind die Frauen in der Überzahl. Wer ist pro Woche mehr als drei Abende allein? Jetzt kommen mehr Männer zum Zug.
Glaube, Liebe, Hoffnung, das sind die grossen Fragen in diesem Gesellschafts-Spiel – auch die kleinen Lügen gehören dazu. Aber das Schönste ist: Ein paar Menschen haben sich hier 100% in einzelne Stadtteile verliebt.
www.gessnerallee.ch
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