Rüstungsgeschäfte in WinterthurPolemik um Panzer für Pinochet
Rüstungsgeschäfte sind seit jeher umstritten. Am Beispiel des Handels mit lateinamerikanischen Militärdiktaturen zeigte Historiker Manuel Klaus, welche Rolle Winterthur dabei spielte.

In der Geschäftswelt müssen manchmal Moral und Kapital gegeneinander abgewogen werden. Dies gilt besonders, wenn es um Exporte von Kriegsmaterial in Staaten geht, die Menschenrechte verletzen. Die Diskussion darüber zieht sich auch durch die Winterthurer Geschichte vom Zweiten Weltkrieg bis zur südafrikanischen Apartheid.
Der Historiker Manuel Klaus illustrierte die Problematik in einem Vortrag am Beispiel des Schweizer Aussenhandels mit lateinamerikanischen Militärdiktaturen der 1960er- bis ’80er-Jahre. «Quantitativ spielten die Geschäfte zwar keine entscheidende Rolle», bilanzierte Klaus am Mittwoch auf Einladung des Historischen Vereins Winterthur. «Doch sie lösten wichtige Grundsatzdebatten in Medien und Politik aus. Dabei stand Winterthur immer wieder im Zentrum der Auseinandersetzungen.»
Radschützenpanzer für Chile?
Gestritten wurde hauptsächlich um die Auslegung des Kriegsmaterialgesetzes von 1972, das vorsah, dass kein Kriegsmaterial in «Spannungsgebiete» geliefert werden durfte. So etwa 1979, als die Mowag in Kreuzlingen Radschützenpanzer nach Chile liefern wollte. Dort herrschte seit dem Militärputsch von 1973 gegen die sozialistische Regierung von Salvador Allende der General Augusto Pinochet.
«Die gepanzerten Fahrzeuge eignen sich gut für die Bekämpfung von Aufständen und wurden auch im Jura-Konflikt eingesetzt», erläutert der Historiker, der zu dem Thema promovierte und als Geschichtslehrer an der Berufsbildungsschule Winterthur arbeitet.
Die Fahrzeuge sollten ohne Bewaffnung an die Polizei und nicht an die Armee geliefert werden. «Hier zeigt sich zum ersten Mal die Dual-Use-Problematik für Produkte, die sowohl militärisch als auch nicht militärisch eingesetzt werden können», sagte Klaus. Zudem galt Chile sechs Jahre nach dem Putsch als stabil und damit nicht mehr zwingend als Spannungsgebiet.
Rudolf Friedrich als Wortführer
Das Geschäft war im Parlament umstritten. Der sozialdemokratische Aussenminister Pierre Aubert versuchte, den Deal mit Verweis auf einen Bericht von Amnesty International über Menschenrechtsverletzungen zu verhindern, und die Linke weibelte für eine restriktive Auslegung des Kriegsmaterialgesetzes. «Wo immer es in der Welt zu Kriegen kommt, immer kämpfen schweizerische Waffen gegeneinander», erklärte SP-Nationalrat Andreas Gerwig im Parlament, «und vom Unglück dieser Ärmsten profitieren wir auch noch!»
«Schlussendlich kann man jede Drehbank als Kriegsmaterial bezeichnen. Was wollen Sie dann letzten Endes noch exportieren?»
Wortführer der Befürworter einer Ausfuhr war der Winterthurer FDP-Nationalrat Rudolf Friedrich. Er kritisierte die Ausdehnung des Begriffs Kriegsmaterial und polemisierte: «Schlussendlich kann man jede Drehbank als Kriegsmaterial bezeichnen. Was wollen Sie dann letzten Endes noch exportieren?» Er setzte sich schliesslich im Parlament mit seiner rüstungsfreundlichen Haltung durch. Danach sah er sich dem Vorwurf ausgesetzt, im Dienst der Rüstungslobby zu stehen, und galt als «Kalter Krieger» schlechthin.
Entgegen der rüstungsfreundlichen Haltung des Parlaments verweigerte der Bundesrat die Ausfuhrbewilligung. «Dazu dürfte die Mowag selber beigetragen haben, indem sie in ganzseitigen Zeitschrifteninseraten dafür warb, wie leicht die Fahrzeuge mit Geschützen bestückt werden können», sagt Klaus. Letzten Endes umging die Rüstungsproduzentin das Verbot mit einer Lücke im Gesetz, die nach Klaus möglicherweise bewusst geschaffen wurde, und verkaufte Lizenzen an chilenische Firmen.
Bis zu den Winterthurer Ereignissen
Nachgiebiger zeigte sich der Bundesrat beim Verkauf einer Schwerwasseranlage der Firma Sulzer an die argentinische Diktatur. Diese sollte dem «Entwicklungsland» beim Bau eines Kernkraftwerks helfen. Rüstungsgegner befürchteten allerdings, dass die Militärjunta damit Atomwaffen herstellen könnte. Der Fall sorgte schweizweit für Aufsehen und führte 1980 zu einer nationalen Grosskundgebung in Winterthur.
Ein Jahr später demonstrierten mehrere Tausend Menschen gegen die Waffenschau W81 in den Eulachhallen. So heizte die Rüstungsdiskussion die Stimmung in den 80er-Jahren in Winterthur an, was in den «Winterthurer Ereignissen» gipfelte.
Im Zentrum dabei stand abermals Rudolf Friedrich, der 1982 Bundesrat und Sicherheitsvorsteher wurde: Auslöser für die dramatische Zuspitzung zwischen der Jugendbewegung und der Polizei war der Anschlag auf sein Haus im Jahr 1984. Kurz darauf trat er aus gesundheitlichen Gründen zurück.
«Dialogplatz» – der Podcast des Landboten
Den Podcast können Sie kostenlos hören und abonnieren auf Spotify, Apple Podcasts oder Google Podcasts. Falls Sie eine andere Podcast-App nutzen, suchen Sie einfach nach «Landbote Dialogplatz».
Fehler gefunden?Jetzt melden.