Wandel in der GolfmonarchieSaudische Kinder dürfen singen
Künftig soll es Musikunterricht an den Grundschulen im Königreich geben – «mit Allahs Erlaubnis». Der Plan löst eine Kontroverse aus.

Es war nur ein kurzes Statement im saudischen Fernsehen, das in der Golfmonarchie eine alte Debatte wiederbelebte. Der Moderator fragte den Leiter der Musikbehörde, Sultan al-Bazie, ob Musikunterricht an staatlichen Schulen geplant sei. Ja, antwortete dieser, das Kulturministerium und das Bildungsministerium würden derzeit daran arbeiten, und er zählte sogleich auf, was noch alles auf die Schülerinnen und Schüler zukommen wird – und was sich in den Ohren konservativer Saudis anhören muss wie ein Highway to Hell: Drama, Schauspiel, Theater, Filmproduktion.
Der Moderator hakte nach: Musikunterricht an regulären Schulen? «Mit Allahs Erlaubnis», sagte Sultan al-Bazie. Demnächst soll mit den Grundschülern begonnen werden, damit sie ihre Fähigkeiten stetig weiterentwickeln, schickte Bazie noch hinterher.
Kalligrafie hat Priorität
Es dauerte nicht lange, und die ersten Kritiker meldeten sich zu Wort. Mohammed al-Yahya, ein bekannter Social-Media-Influencer, kritisierte auf Twitter die Prioritäten der Behörden. Man solle stattdessen den Fokus auf Rechtschreibung, Kalligrafie sowie religiöse und wissenschaftliche Bildung legen, um «eine gebildete, kultivierte und bewusste Generation zu erziehen, die ihrer Religion und ihrem Land dient». Es sei ja nicht so, als gäbe es nicht genug Künstlerinnen und Künstler im Land. Ach so?
Viele andere wiederum stellen die Vereinbarkeit von Musik und Religion grundsätzlich infrage. Das Thema ist seit je ein kontroverses. Konsens ist: Die Worte des Liedes dürfen nicht obszön sein oder mit Alkoholgenuss einhergehen. Streitpunkt ist vor allem der Einsatz von Musikinstrumenten.
In den vergangenen Jahren verdrängte Kronprinz Muhammad bin Salman den Wahhabismus, eine rigide Auslegung des Islam, und förderte einen neuen, aggressiven Nationalismus.
Die jüngste Debatte macht vor allem deutlich, wie schwer verdaulich die von oben diktierte Öffnung durch den Kronprinzen Muhammad bin Salman für konservative Saudis und das religiöse Establishment ist. Menschen feiern im heutigen Saudiarabien Musikkonzerte und Sportevents, gehen ins Kino, Frauen fahren Auto. All das steht in Zusammenhang mit der von Muhammad bin Salman geförderten Vision 2030, die das wohlhabende Königreich vom Erdöl unabhängig machen soll – etwa durch Investitionen in Tourismus und Unterhaltung. «Keine Rücksicht auf die Religion, keine Rücksicht auf die Gefühle der Gelehrten, keine Rücksicht auf die Gefühle eines Bürgers», schreibt ein Nutzer namens Mohammed al-Kheir.
In den vergangenen Jahren verdrängte der umstrittene De-facto-Herrscher den Wahhabismus, eine rigide Auslegung des Islam, und förderte einen neuen, aggressiven Nationalismus. In einer seiner ersten Amtshandlungen entmachtete der Kronprinz 2016 die Sittenpolizei. Im Interview mit dem US-Magazin «The Atlantic» bejahte er kürzlich die Frage, ob religiöse Führer jemals Einwände gegen Musik erhoben hätten, und sagte: «Sie argumentieren, und wir argumentieren zurück. Musik, das ist eine umstrittene Sache im Islam. Es ist nicht etwas, worüber man sich unter den Muslimen einig ist, und das wissen sie.» Er habe für sich eine einfache Lösung gefunden. Und er verweist auf den Propheten Mohammed, der gesagt haben soll: Notwendigkeiten heben Beschränkungen auf.
Ungeahnte Talente
Im Fall der Unterhaltung verweist er auf die Wirtschaft: Viel zu lange liessen saudische Staatsangehörige im Ausland ihr Geld, auf der Suche nach ein wenig Entertainment fern der wahhabitischen Heimat. Durch die Öffnung habe er Arbeitsplätze geschaffen und Touristen ins Land gelockt, so Muhammad bin Salmans Logik.
Was das mit dem Musikunterricht zu tun hat? Wer weiss, vielleicht werden so ungeahnte Talente entdeckt, die eines Tages ordentlich Geld in die saudischen Unterhaltungskassen spülen.
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