Thalmann, Wälti und NielsenJetzt sind sie Heldinnen – wider Willen
Sie lagen am Boden. Mehrfach. Und dennoch schaffen es die Nationalspielerinnen an die EM 2022. Dank einem brillanten Captain, einem Trainer mit Händchen – und einem Goalie mit Fingerspitzen.

Lia Wälti: Die Verantwortungsbewusste
Normalerweise fallen Wältis Qualitäten dann am meisten auf, wenn sie nicht da ist. Wie beim entscheidenden Gruppenspiel gegen Belgien, als das Team auseinanderfiel, nachdem sein Captain verletzt ausgewechselt werden musste. Nun, im kapitalen Playoff-Rückspiel, leistete sie aufopferungsvolle Arbeit auf dem Platz. «Wir wollen den Frauenfussball in der Schweiz voranbringen, dafür müssen wir auch an solchen Turnieren teilnehmen», sagte sie danach. Und ging mit gutem Beispiel voran.

Es sind zwei für sie eher untypische Szenen, die nach diesem denkwürdigen Abend in Erinnerung bleiben. Zuerst in der 59. Minute, als Wälti eine geniale Idee hat. 0:1 liegt ihr Team zurück, also übernimmt sie als Captain Verantwortung, probiert etwas Aussergewöhnliches. Ein langer, diagonaler Pass. Mit links. Er ist perfekt, landet im Lauf der eben erst eingewechselten Coumba Sow, die mit ein bisschen Glück den Ausgleich erzielt, sich als Torschützin feiern lassen darf. Dann das Penaltyschiessen, der Druck längst maximal. Zwei Teamkolleginnen scheiterten bereits, ein weiterer Fehlschuss dürfte das Aus bedeuten. Und was macht Wälti? Sie schlenzt den Ball in den Winkel.
Zwei Meisterwerke sind es also, an die man sofort zurückdenkt. Dabei leistete die 27-Jährige viel mehr als das. Die Arsenal-Legionärin warf sich in jeden Zweikampf, von denen sie nahezu alle gewann – klar, dass sie danach sagte: «Ich bin hundemüde.» Dazu wurde sie von aggressiven Tschechinnen mit Tritten eingedeckt, die Gegnerinnen wussten offenbar, wen sie aus dem Spiel nehmen mussten. Dumm nur, dass dieser Plan nicht aufging. Denn auch mit dem Ball war Wälti überragend, wahlweise kurbelte sie das Spiel an oder sorgte für Entlastung, wenn Tschechien mal hoch presste. An diesem Dienstagabend war ein Pass in die Füsse von Wälti eine bessere Investition als Bitcoins vor zwei Jahren.
Gaëlle Thalmann: Eine Heldin, die keine sein will

Oftmals ist es eine billige Floskel. Aber manchmal stimmt es tatsächlich, wenn Protagonistinnen nach dem Spiel davon sprechen, das Details über Sieg und Niederlage entscheiden. Gegen Tschechien waren es Fingerspitzen. Thalmanns Fingerspitzen. Als nämlich Lucie Martinkova zum vierten tschechischen Penalty anläuft, da ist die Schweiz im Hintertreffen. Der vorletzte Schuss ist wegweisend für die beiden letzten Schützinnen der Teams. Und Thalmann ahnt die Ecke, kommt gerade noch so an den Ball, dreht sich danach sofort um: Hat es gereicht? Es reichte, ganz knapp, vom Innenpfosten sprang das Spielgerät zurück ins Feld. Als Ana Maria Crnogorcevic danach traf, musste Thalmann mit ihren 1,70 Metern Körpergrösse wie eine Hünin auf Katerina Svitkova, Tschechiens Beste, gewirkt haben. Vielleicht fand der Ball deshalb keinen Platz mehr, um an der Schweizer Torhüterin vorbei ins Tor zu fliegen, also landete er an der Latte – und die Schweizerinnen an der EM 2022.
Dabei wirkte sie während der Partie noch nicht wie eine Gigantin, als sich Svitkovas Schuss hinter Thalmann im Tor senkte. Doch ähnlich wie Wälti verrichtet auch die 35-Jährige viel unsichtbare Arbeit, Trainer Nils Nielsen schätzt ihre lautstarke Kommunikation auf dem Platz, die Sicherheit, die sie ausstrahlt. Dabei war sie am Anfang des Penaltyschiessens selber etwas nervös, als Malin Gut und Coumba Sow scheiterten. «Ab dann gab es nichts mehr zu verlieren», sagt Thalmann. Zwar habe sie versucht, sich auf die gegnerischen Schützinnen vorzubereiten, aber kaum aktuelle Penaltys gefunden. Und die wenigen Infos, die sie hatte, habe sie im entscheidenden Moment vergessen: «Ich habe auf mein Gefühl gehört.» Das machte sie schlussendlich zur Heldin. Als solche wurde sie zumindest auf Twitter bezeichnet. Thalmann antwortete: «Helden sind andere, nicht Fussballerinnen. Aber danke.»
Nils Nielsen: Das richtige Händchen
2 Minuten und 25 Sekunden. So lange ging es, bis einer von Nielsens Trümpfen stach. Nach dem 0:1 in der 51. Minute waren er und sein Team unter Druck, denn trotz ihrer Rolle als Favoritin konnte sich die Schweiz gegen Tschechien kaum Torchancen erarbeiten. Und jetzt brauchten sie unbedingt einen Treffer. Also reagierte der Coach, brachte in der 56. Minute Alisha Lehmann und Coumba Sow. Und Sow war es, die in der 59. Minute den Ausgleich erzielte. Dazu war Lehmanns Schnelligkeit eine neue Bedrohung für Tschechiens Defensive, die mithalf, den Spielverlauf nachhaltig zu ändern, zugunsten der Schweizerinnen zu kippen.

Bereits im Hinspiel bewies der Däne mit der Einwechslung von Irina Pando ein gutes Händchen. Die Luzern-Stürmerin war es, die den Penalty kurz vor Schluss herausholte, damit den Weg zum Ausgleich ebnete. In Thun blieb Pando 90 Minuten auf der Bank, dafür brachte er mit Lehmann und Fabienne Humm zwei Spielerinnen, die in Tschechien nicht zum Einsatz kamen. Nielsen zeigte in beiden Partien, dass er die richtige Antwort parat hat, wenn es auf dem Platz nicht läuft. Vielleicht war das der letzte, entscheidende Impuls, damit das Schweizer Nationalteam an der EM 2022 in England teilnehmen darf.
Fehler gefunden?Jetzt melden.