Verfahren nach «SonntagsBlick»-EnthüllungenSonderermittler untersucht Geheimdienstleck zu Ukraine-Krieg
Die «Blick»-Gruppe soll klassifizierte Informationen zu Russland, der Ukraine und der Schweiz publiziert haben. Nun ermittelt der Staatsanwalt, der Pierre Maudet zu Fall brachte.

Im Hochsommer hat der «SonntagsBlick» fast wöchentlich Geheimdiensteinschätzungen zum Ukraine-Krieg und seinen Folgen für die Schweiz veröffentlicht. «Russische Hacker attackieren Bund!», lautete eine der Schlagzeilen. «Schweizer Geheimdienst warnt vor Gasstopp aus Russland», eine andere. Grösstenteils waren das keine riesigen Enthüllungen. Doch die «vertraulichen Berichte» stammten, wie die Zeitung selber schrieb, vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB), also von einer verschwiegenen Institution – und dies wird nun zum Problem.
Denn die Publikation mutmasslich klassifizierter Informationen wird untersucht. Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) hat damit einen Juristen betraut, der gerade einen grossen Erfolg verbuchen konnte: Stéphane Grodecki hatte lange das Verfahren im Korruptionsfall um das ehemalige Genfer Regierungsmitglied Pierre Maudet geführt, in dem das Bundesgericht eben einen Freispruch kippte (lesen Sie hier den Bericht dazu).
Reporter verweigern Aussage
Grodecki, der bei der Genfer Staatsanwaltschaft ausgeschieden und neu als Rechtsanwalt tätig ist, wollte keine Stellung nehmen zu seinen Ermittlungen zum mutmasslichen Leck beim Geheimdienst oder bei dessen Berichtsempfängern. Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft bestätigt seine Einsetzung als ausserordentlicher Staatsanwalt des Bundes: «Herr Grodecki bearbeitet derzeit im Auftrag der AB-BA zwecks Untersuchung von Amtsgeheimnisverletzungen vier Strafanzeigen.»

Als Sonderermittler hat Grodecki versucht, zwei «SonntagsBlick»-Autoren als Zeugen vorzuladen. Doch die beiden Betroffenen machten gemäss Auskunft einer Sprecherin der «Blick»-Gruppe vom Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Medienschaffende müssen in der Regel in Strafuntersuchungen nicht aussagen und können so ihre Informantinnen und Informanten schützen.
Grodecki hat dann darauf verzichtet, die beiden Zeugen trotzdem aufzubieten. Damit handelte er anders als ein anderer Sonderermittler: Bei Peter Marti, der seit längerer Zeit mutmassliche Amtsgeheimnisverletzungen in der Geheimdienstaffäre Crypto untersucht, mussten Journalisten (darunter der Schreibende) trotz des Zeugnisverweigerungsrechts zur Einvernahme antraben – nur um dort zu erklären, dass sie nichts zur Sache aussagen könnten.
Sonderermittler über Sonderermittler
In den vergangenen Jahren wurden vermehrt ausserordentliche Staatsanwälte nach Medienenthüllungen eingesetzt. Bei der AB-BA und bei der Bundesanwaltschaft landen immer wieder Strafanzeigen von Behörden wegen angeblicher Geheimnisverletzungen – so jüngst wieder, nachdem der «Blick» publik gemacht hatte, dass Aussenminister Ignazio Cassis in die Ukraine gereist war. Zur Anklage oder zu Strafbefehlen wegen solcher Enthüllungen kommt es sehr selten.
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