Kolumne «Lomo»Turm von Pisa und Paket
Beim «Landbote»-Kolumnisten kommen mehr Pakete rein, als rausgehen. Beim Öffnen des Kleiderkastens sind darum kreative Lösungen gefragt.

Bei uns zu Hause kommen definitiv mehr Pakete rein, als rausgehen. Ich weiss das darum so genau, weil wir die Paketschachteln im Badezimmervorraum lagern, auf dem Gestell gleich neben meinem Kleiderschrank. Genau genommen ist «lagern» wohl ein leicht irreführender, weil allzu aufgeräumt klingender Begriff.
Die Schachteln bei uns lagern nicht, sie liegen einfach. Und zwar aufeinander. Und das auch nicht immer so gar regelmässig. Ich weiss das darum, weil der statisch komplex aufeinandergeschichtete Schachtelturm sich in den letzten Wochen Pisa-mässig immer mehr an meinen Kleiderschrank angenähert und am Ende gar an diesem angelehnt hat. Als ich jedenfalls gestern ein Hemd aus dem Schrank fischen wollte, bekam ich drei Schuhschachteln noch mit dazu. Auf den Kopf.
Mit den Schachteln ist es offenbar ein bisschen so wie mit dem Güselkübel, den niemand leeren will.
Mit den Schachteln ist es offenbar ein bisschen so wie mit dem Güselkübel, den niemand leeren will. Eigentlich ist der Sack längst überfüllt, aber man redet sich ein, dass das eigene Nastüchli da schon noch Platz habe, und legt es auch noch obendrauf, wohl wissend, dass bei der nächsten Person die ganze Güselkonstruktion zusammenbrechen wird.
Wie beim Geschicklichkeitsspiel Jenga hat dann jeweils das Familienmitglied verloren, bei dem der Abfall auf den Boden purzelt. Beim schiefen Turm der Postpakete indes bin immer ich der Verlierer, weil ich ja der Einzige bin, der meinen Kleiderschrank öffnet und damit die labile Stapelei daneben zu Fall bringt.
Ich hab zwar auch schon versucht, den eigenen Nachwuchs oder die Gattin vorzuschieben, indem ich ihnen sagte: «Du, wärst du nicht so lieb und würdest mir rasch meine Wollsocken aus dem Schrank holen? Ich kann hier nicht weg, du siehst ja, dass unsere Katze grad auf mir liegt.»
Aber entweder waren meine Opfer dann doch geschickt genug, die Schranktür nur einen winzigen Spalt zu öffnen und meine Wollsocken durch diesen herauszufummeln, oder aber sie fragten so laut «Welche Wollsocken?» zurück, dass die Katze erschrocken aufsprang und ich keine Ausrede mehr hatte, nicht selber zum Schrank zu gehen.
Seither überlege ich mir immer öfter, ob ich überhaupt noch Kleider anziehen oder nicht besser einfach den ganzen Tag im Pischi bleiben soll. Oder aber ich zieh mir in Zukunft schon vor dem Anziehen etwas an: nämlich einen Schutzhelm.
Die Kolumne «Lomo» von Filmwissenschaftler Johannes Binotto erscheint jeden Mittwoch in der Printausgabe des «Landboten».
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