Eindämmung der Covid-PandemieVier Forschungsinstitute zeigen den Weg aus der Krise
Wissenschaftler haben ein Konzept zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie aufgestellt. Die Schweizer Öffnungsschritte sind damit vergleichbar – es gibt aber wichtige Unterschiede.

Vier deutsche Forschungsinstitute haben gemeinsam eine Strategie aufgezeigt, wie Deutschland aus ihrer Sicht die Coronavirus-Pandemie eindämmen könnte. Was die Wissenschaftler von Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Max-Planck-Gesellschaft in ihrer Stellungnahme aufzeigen, lässt sich aber auch gut mit dem nun vom Bundesrat eingeschlagenen Schweizer Weg vergleichen.
Ihre Strategie basiert auf drei Säulen:
- Hygienische Massnahmen: Dazu gehöre neben Desinfektionsstationen auch das Mundschutztragen in Geschäften und an öffentlichen Orten, um Infektionen durch unerkannte Träger zu reduzieren.
- Testen und Tracing: Fälle früh erkennen, isolieren und Kontakte nachverfolgen, um Ansteckungsketten zu unterbrechen.
- Steuerung von Massnahmen: Dies solle durch das genaue Beobachten der Neuinfektionen geschehen, um zu sehen, wie sich die Weiterverbreitungszahlen entwickeln. Auch lokal unterschiedliche Massnahmen seien möglich.
Um die Kontakteinschränkungen lockern zu können, schlagen die Wissenschaftler zwei Phasen vor: In einer ersten Phase sollen die Massnahmen beibehalten und gleichzeitig Testing- und Tracing-Kapazitäten weiter ausgebaut werden. Diese Phase gehe dann in eine zweite Phase über, wenn die Neuinfektionen so weit zurückgegangen sind, dass eine Kontaktnachverfolgung möglich ist. Indem dadurch Infektionsketten unterbrochen werden, könne der Lockdown nach und nach durch das Tracing ersetzt werden, heisst es im Papier.
Die Wissenschaftler präzisieren: «Wenn die Zahl der Neuinfektionen so klein ist, dass die Fälle durch Testing und Tracing kontrolliert werden können, erwarten wir, dass eine Lockerung der kontakteinschränkenden Massnahmen nachhaltig möglich ist.»
Ähnliches Schweizer Rezept
Der Schweizer Weg hält sich an vielen Stellen an dieses Rezept. Während die Zahlen der Neuinfektionen kontinuierlich sanken, wurde an den regelmässigen Medienkonferenzen mehrmals die Schwelle von 100 neuen Fällen innert 24 Stunden genannt, um die konsequente Nachverfolgung und Isolation von Infizierten wieder aufzunehmen. Der Bundesrat hat Lockerungen der Massnahmen bekannt gegeben und diese Woche nochmals nachgelegt. Begründet wurde dies jeweils mit der guten Entwicklung der Fallzahlen.
Die Kontaktnachverfolgung wurde bereits wieder in Kraft genommen, in einigen Kantonen zusammen mit dem ersten Öffnungsschritt am 27. April. Andernorts wird das System in den nächsten Tagen aufgebaut. Noch fehlen aber die Tests, und vielerorts müssen die Detektive, welche alle Kontakte einer infizierten Person nachverfolgen müssen, auch erst eingestellt und eingearbeitet werden.
Tests und Masken
Müssten die deutschen Wissenschaftler die Schweizer Lockerungen beurteilen, dürften sie den noch nicht erfolgten Ausbau der Testkapazitäten vermissen. Die Stellungnahme empfiehlt dies vor allem auch, um mittels Querschnitttests versteckte Infektionsherde erkennen zu können. Auch die Einführung einer freiwilligen Tracing-App wird empfohlen, diese ist ebenfalls noch nicht erfolgt.
Auch die erste Säule der Strategie, die hygienischen Massnahmen, wird in der Schweiz anders angepackt als beispielsweise in Deutschland oder Österreich. Die deutschen Wissenschaftler führen mehrmals Masken als Schutz und zur Reduktion der Ansteckungswahrscheinlichkeit an. Dabei geht es explizit auch darum, Infektionen durch unerkannte Träger zu reduzieren. Nachbarländer haben deswegen vielerorts eine Maskenpflicht verordnet. Die Forscher dürften sich das wohl auch für die Schweiz wünschen, hier sprach der Bundesrat aber lediglich Empfehlungen aus. Als Folge davon hat auch der öffentliche Verkehr in der Schweiz keine Maskenpflicht in Bussen oder Zügen verfügt.

Herdenimmunität keine Option
Die Forscher haben ihre Strategie nicht gemeinsam entworfen, sondern aus vier verschiedenen Gruppen die übereinstimmenden Ergebnisse veröffentlicht. Die vier Modelle wählten unterschiedliche Ansätze, kamen aber alle zu sehr ähnlichen Erkenntnissen. Aufgrund dieser klaren Übereinstimmung habe man sich entschlossen, den aktuellen Stand vorzustellen.
Dabei sagen die Wissenschaftler auch klar, dass es theoretische Abschätzungen sind, die dabei helfen sollen, einen gangbaren Weg zu finden. Sie legen auch dar, welche Szenarien ihrer Ansicht nach nicht praktikabel sind: eine zügige Durchseuchung oder Herdenimmunität, welche das Gesundheitssystem überlasten würde, sowie eine kontrollierte Durchseuchung, bei welcher eine Art Lockdown über Monate oder sogar Jahre bestehen bleiben müsste. Die langfristigen Auswirkungen der Krankheit und die Dauer einer allfälligen Immunität seien noch unklar, weshalb die konsequente Eindämmung die einzige sinnvolle Strategie sei.
Eine komplette Auslöschung des Virus wird dabei nach Ansicht der Forscher aber nicht gelingen, dazu brauchte es eine internationale Kooperation, welche dies weltweit sicherstellen würde. Ansonsten kann sich Covid-19 immer wieder von einer Region in die andere weiterverbreiten. Die Eindämmung mit hygienischen Massnahmen, Tests, Nachverfolgung, Quarantäne und wenn nötig lokalen Lockdown-Verfügungen wird gemäss den deutschen Wissenschaftlern bestehen bleiben, bis neue Medikamente oder ein Impfstoff zur Verfügung stehen.
anf
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