Während London um den Brexit ringt, verliert Brüssel die Geduld
Die EU hat genug vom Brexit-Drama: Die Briten sollen endlich sagen, was Sache ist.

Angela Merkel ist nicht dafür bekannt, sich allzu rasch festzulegen. Gerade in der Europapolitik lässt sich die Bundeskanzlerin oft Zeit, bevor sie Position bezieht. Beim Brexit macht sie allerdings eine Ausnahme. Schon seit einiger Zeit erklärt Merkel, dass sie «bis zur letzten Stunde» dafür kämpfen werde, einen ungeordneten EU-Austritt Grossbritanniens zu verhindern.
Doch die Kanzlerin hat das nicht allein in der Hand. Das Interesse, ein No-Deal-Szenario mit (fast) allen Mitteln abzuwenden, ist in der EU bei Weitem nicht überall so ausgeprägt wie in Berlin. Schon gar nicht in Paris.
Anders als die Kanzlerin hat Emmanuel Macron die Möglichkeit eines harten Brexit ohne Austrittsvertrag immer wieder betont. In den Augen des französischen Präsidenten sei die Wahrscheinlichkeit eines chaotischen EU-Austritts in den vergangenen Tagen gestiegen, hiess es am Montag in französischen Regierungskreisen.
Die Botschaft aus Paris ist klar: Die Briten sollen sich ja nicht zu sicher sein, dass die EU sie auf keinen Fall über die Klippe springen lässt. Nicht nur im Fall von Macron gibt es durchaus gewichtige Argumente, die gegen eine weitere Verlängerung des Brexit-Dramas sprechen.
Warten auf May
Zunächst zur Ausgangslage. Eine Woche vor dem Sondergipfel am 10. April ist die politische Situation in London noch immer unberechenbar. Doch egal ob das Unterhaus noch einmal über den Austrittsvertrag abstimmt oder sonstige Wünsche äussert: Die 27 verbleibenden EU-Staaten bereiten sich auf alle Optionen vor. Die Leitplanken haben die Staats- und Regierungschefs beim letzten EU-Gipfel selbst gesetzt.
Und so wird die britische Premierministerin Theresa May erklären müssen, ob ihr Land bei der Europawahl Ende Mai teilnimmt. Dies ist die Grundvoraussetzung für einen weiteren Brexit-Aufschub. May muss zudem einen überzeugenden Weg aufzeigen, wie es nun weitergehen soll.
Raus aus der Sackgasse
Diese zweite Bedingung wurde in der jüngsten Gipfel-Erklärung bewusst offen formuliert. Klar ist aber, dass der EU-27 eine weitere Abstimmung über den Austrittsvertrag nicht reichen wird, um einer Verlängerung zuzustimmen. «Wir müssen sicher sein können, dass wir danach nicht wieder dort landen, wo wir jetzt schon sind: in der Sackgasse», sagt ein EU-Diplomat.
Möglich wären also Neuwahlen oder ein zweites Referendum. Andererseits birgt beides grosse Unsicherheiten – auch für die EU. So könnte etwa ein Brexiteer wie Boris Johnson neuer Premier werden – mit Stimmrecht im Europäischen Rat.
Neben der unsicheren Lage in London dürften die Staats- und Regierungschefs vor allem eines abwägen: Welche Folgen hat es, wenn Grossbritannien nun doch an der Europawahl teilnimmt? Nach dem Brexit soll die Zahl der Abgeordneten im Europäischen Parlament eigentlich von 751 auf 705 sinken. 46 der bislang 73 britischen Sitze werden für mögliche EU-Erweiterungen in Reserve gehalten. Die verbleibenden 27 Sitze werden auf bislang leicht unterrepräsentierte Länder aufgeteilt.
Parteipolitischer Machtpoker
Die meisten neuen Sitze bekämen Frankreich und Spanien. Sollte der Brexit-Prozess verlängert werden, müssten Paris und Madrid auf je fünf zusätzliche Abgeordnete verzichten. Für Macron, dessen Bewegung La République en Marche zu keiner etablierten Parteienfamilien gehört, käme hinzu, dass er keinerlei Verbündeten in Grossbritannien hat. Labour würde in der sozialdemokratischen Fraktion bleiben und die Tories wohl bei der EU-kritischen EKR-Gruppe.
Aber auch fern des parteipolitischen Machtpokers gibt es eine Hürde, die alle 27 EU-Staaten vermessen müssen: Nimmt Grossbritannien an der Europawahl teil, hätte es de facto weiter alle Rechte eines EU-Mitglieds. Die Abgeordneten aus dem Vereinigten Königreichs dürften also den neuen Kommissionspräsidenten mitwählen und bei der Auswahl von Kommissaren mitbestimmen.
Inwieweit Grossbritannien sich im EU-Ministerrat bei Zukunftsfragen enthält, ist Verhandlungssache. So dringen etwa die meisten EU-Staaten darauf, dass London bei den anstehenden Beratungen über den nächsten Haushaltsrahmen nichts mitzureden hat.
Juncker: «Die Sphinx zum Reden zu bringen»
Doch all diese Planspiele ändern nichts an der verfahrenen Lage. «Eine Sphinx ist ein offenes Buch im Vergleich zum britischen Parlament», sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Montag. Er appellierte, «diese Sphinx jetzt zum Reden zu bringen», denn es reiche jetzt «mit dem langen Schweigen».
Keine Frage, der Frust ist gross in Brüssel. Und so äusserte Juncker seinen Unmut, dass die EU-Kommission vor dem Brexit-Referendum ihre Argumente für Europa nicht in Grossbritannien habe vortragen dürfen. Dies sei ihr vom damaligen Premierminister David Cameron verboten worden, sagte Juncker. Und fügte hinzu: «Von Herrn Cameron, der zu den grössten Zerstörern der neuzeitlichen Geschichte gehört.»
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