Kampf um die VakzineWarum Brüssel die Instrumente im «Impfkrieg» schärft
Die EU-Kommission will den Export von knappen Corona-Impfstoffen noch schärfer kontrollieren und notfalls stoppen. Auch die Schweiz ist auf dem Radar.

Es ist die nächste Eskalationsstufe im «Impfkrieg» zwischen der EU und insbesondere Grossbritannien. Schon seit Anfang Februar müssen Pharmafirmen alle Exporte von Impfstoffen in Drittstaaten melden, wobei die Schweiz von dieser Kontrolle bisher nicht betroffen war. Brüssel kann Ausfuhren blockieren, wenn das Unternehmen vertragliche Verpflichtungen nicht einhält. Bisher hat die EU erst eine Exportgenehmigung verweigert, doch das könnte künftig öfter geschehen, wenn neue und schärfere Kriterien in Kraft treten. Und neu soll der Kontrollmechanismus auch die Schweiz erfassen.
Welches sind die neuen Kriterien?

Die EU will im Kampf um den knappen Impfstoff nicht länger naiv sein: Die EU sei global der grösste Exporteur von Impfstoffen, sagte Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission. So haben Hersteller seit Anfang Februar 43 Millionen Impfdosen in jene 33 Länder exportiert, für die es eine Autorisierung braucht. Davon gingen allein zehn Millionen nach Grossbritannien. Von dort kamen genau null Dosen in die EU, obwohl der Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca dort zwei Produktionsstätten hat. Neu soll deshalb das Kriterium der Gegenseitigkeit gelten: Wenn ein Drittstaat viel importiert, aber per Gesetz oder per Knebelvertrag seinerseits Ausfuhren verhindert, könnte die EU eine Exportbewilligung verweigern. Neu könnte Brüssel zudem berücksichtigen, ob ein Drittstaat eine hohe Impfrate hat und die Lieferung nicht dringend braucht. Es gehe nicht darum, andere Länder zu bestrafen, so Dombrovskis. Die Versorgungssicherheit der Bürgerinnen und Bürger in der EU habe aber Priorität.
AstraZeneca und Grossbritannien im Visier

Die Staats- und Regierungschefs der EU sollen am virtuellen Gipfel am Donnerstag und Freitag über den verschärften Kontrollmechanismus reden. Rechtzeitig zum Gipfel sorgt die Meldung für Aufsehen, wonach bei der Inspektion in einer Fabrik in Italien 29 Millionen Dosen des Impfstoffs von AstraZeneca gefunden worden seien. Hortet das britisch-schwedische Unternehmen das Präparat dort, weil es seine Produkte derzeit nicht nach Grossbritannien ausführen kann? Die Informationen sind widersprüchlich. Der Pharmakonzern, dessen Impfstoff in der Schweiz und den USA unter anderem wegen anhaltender Probleme bei den Testverfahren noch nicht zugelassen ist, kommt nicht aus den Schlagzeilen. AstraZeneca hatte der EU vertraglich für das erste Quartal 80 Millionen Dosen versprochen und dann wegen angeblicher Produktionsprobleme auf 30 Millionen reduziert. Nun hat es tatsächlich 16 Millionen geliefert. Die Liefervereinbarung mit London hält das Unternehmen hingegen ein. Premier Boris Johnson pocht auf einen «UK first»-Vertrag und sieht den Impferfolg als Triumph des Brexit. Der Streit um den Impfstoff belastet das schwierige Verhältnis zwischen der EU und ihrem ehemaligen Mitglied.
Impfprotektionismus?

Eine Reihe von EU-Staaten hat Vorbehalte gegenüber dem verschärften Kontrollmechanismus. Die EU könnte ihren Ruf als Avantgarde des Freihandels aufs Spiel setzen und sieht sich schon jetzt mit dem Vorwurf des Impfprotektionismus konfrontiert. Statt Linderung zu bringen, könnte der Kontrollmechanismus das Problem des knappen Impfstoffs noch verschärfen, wenn andere Drittstaaten in einer Kettenreaktion zum Beispiel Vorprodukte blockieren, die in den Fabriken in der EU benötigt werden. Der Impfstoff von Pfizer/Biontech wird zwar in Europa im belgischen Werk in Puurs hergestellt, wichtige Zusätze kommen aber aus Grossbritannien. Es gehe nicht um ein Exportverbot, sagt Kommissionsvize Dombrovskis. Die EU habe seit Anfang Februar 380 Ausfuhren genehmigt und nur eine auf Antrag aus Italien blockiert, und zwar von 250’000 Dosen von AstraZeneca nach Australien. Zudem sei die EU grösster Beitragzahler bei Covax, der globalen Initiative, um ärmere Länder mit Impfstoff zu versorgen.
Was bedeutet das für die Schweiz?

Neu will die EU-Kommission die Schweiz und eine Reihe von anderen Drittstaaten von dem Kontrollmechanismus nicht mehr ausnehmen: «Wir wollen alle Ein- und Ausfuhren auf dem Radar haben, auch jene in Nachbarstaaten», sagte Kommissionsvize Dombrovskis. Die Schweiz sei wichtig für die Lieferkette bei den Impfstoffen in Europa und habe keine Probleme zu befürchten, heisst es zudem in EU-Kreisen. Die Schweiz sei ein gutes Beispiel für die angestrebte Gegenseitigkeit, importiere nicht nur, sondern lasse auch Exporte zu. Im Werk von Lonza wird das Präparat für den Impfstoff von Moderna produziert, der dann in Spanien fertiggestellt und von Belgien aus vertrieben wird.
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