Meine Familie bestand bereits vor dem Kosovokrieg aus lauter Vertriebenen, doch der Migrationsradius blieb überschaubar: Er reichte bis in die Schweiz. Nach dem Krieg hat sich die Familie jedoch vollends aufgelöst und in alle Weltteile verteilt.
Auf einmal waren sie weg. Es war, als würden die bestehenden Verhältnisse kopfstehen: Wir Erstemigrierten, die in den frühen Neunzigerjahren die Heimat und Verwandtschaft hinter sich gelassen hatten, verwandelten uns mit einem Mal in Zurückgelassene, weil jene, die wir einmal zurückgelassen hatten, während des Krieges an entferntere Orte flüchteten. Blutsverwandte, die ich seither nicht mehr gesehen habe. Cousins und Cousinen, mit denen ich als Kind auf den Feldern Pristinas gespielt habe – und die ich heute nicht mehr wiedererkennen würde, begegnete ich ihnen auf der Strasse.
Kolumne Kaltërina Latifi – Was den Vertriebenen bleibt: Die Grosseltern
Gjyshja und gjyshi, albanisch für Grossmutter und Grossvater, sind für viele Geflüchtete der familiäre Anker, der ihnen ansonsten fehlt.