Gedanken einer Ukrainerin, Teil 7Was uns den Krieg ein bisschen vergessen lässt
Liudmyla Shumska floh mit ihrem Mann Peter und der Enkelin Anna nach einem Bombenangriff aus Kiew. Nun schreibt sie aus Russikon über ihre Erfahrungen als Flüchtling.

Tag für Tag, Woche für Woche geht das Leben in unserer kleinen, aber gemütlichen Wohnung in Russikon weiter. Unser Tagesrhythmus ist nach wie vor geprägt vom Geschehen in unserer Heimat. Das beginnt schon früh am Morgen über das Handy beim Abfragen der wichtigsten Meldungen von Bekannten aus der Ukraine. Danach mache ich für uns alle das Frühstück. Als Nächstes folgen der Gang auf die blühende Laube und das tiefe Einatmen der wunderbaren Russiker Luft.
Bei schönem Wetter begleiten wir unsere Enkelin manchmal zur Schule, oder wir streifen zu dritt durch die Wiesen mit den schneeweissen Obstbäumen. Oder wir fahren mit dem Postauto nach Pfäffikon, wo wir uns anschauen, was man alles kaufen könnte. Manchmal schlagen wir auch zu. Kürzlich kauften wir für Peter eine wunderbare neue Lesebrille.
Auch unsere Enkelin soll nicht zu kurz kommen. Im Rahmen unserer Möglichkeiten gönnen wir ihr ein selbst ausgewähltes Kleidungsstück. Sie freute sich noch mehr darüber, als wenn sie es geschenkt bekommen hätte. Besonders reich haben wir kürzlich Peter beschenkt. Trotz der vielen geschenkten Schuhe der Grösse 46 für praktisch jeden Anlass haben wir entschieden, dass er sich einen bequemen Laufschuh aussuchen darf. Das machte ihn so glücklich, dass wir danach alle miteinander um den Pfäffikersee wanderten.
Es war Ferienzeit, und wir genossen die Ruhe, weil nicht so viele Leute unterwegs waren. Es ist auch schön, wenn wir wandern, ohne miteinander zu reden und einfach den Gedanken nachzuhängen. Kurz, wir sind überglücklich, dass wir hier in Frieden in der Schweiz sein dürfen.
Andererseits machen uns die apokalyptischen Bilder, die grässlichen Kommentare, das nicht enden wollende Leid und Elend unendlich traurig. Umso wichtiger ist Trost, der hier ebenfalls reichlich gespendet wird. Ein besonders schöner Anlass war der ukrainisch-ökumenische Ostergottesdienst mit Pfarrer Ivan Machuzhak, der Pfarrerin Esther Cartwright und dem Romanos-Chor in der Kirche in Winterthur-Veltheim.
Der Chor hat die byzantinische Osterlaudes gesungen. Dieser Anlass wird uns in langer Erinnerung bleiben. Es war einfach schön. Die Kontakte mit den vielen Landsleuten. Die herzliche und tröstende Begrüssung durch unsere Geistlichen. Die ukrainische Kultur mit unseren gewohnten Gesängen und Ritualen. Und dann am Schluss noch die reichhaltigen und schmackhaften Speisen und Getränke beim gemütlichen Zusammensein am Ende des Gottesdienstes. Es waren wunderschöne ukrainische Ostern in Winterthur.
Liudmyla Shumska studierte zuerst Pädagogik, danach absolvierte sie die Hochschule für Fremdsprachen. Seit 1974 arbeitete sie als Übersetzerin und Reiseleiterin in der ganzen Ukraine. Mit ihrem Mann Peter und der Enkelin Anna lebt sie zurzeit in Russikon.
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