Gipfeltreffen im Halbfinal Barça – BayernWenn der Platzhirsch den Herausforderer abkanzelt
Das nächste Kapitel im deutsch-deutschen Goalieduell: Barcelona – Bayern München in der Champions League ist auch ein Zweikampf zwischen Marc-André ter Stegen und Manuel Neuer.

Wenn einer «Messi mit Handschuhen» genannt wird, muss das was heissen. Vor allem, wenn ihm diese Ehre in Barcelona zuteilwird, wo der «Messi mit Fussballschuhen», also Lionel Messi persönlich, Heldenstatus geniesst.
Der «Messi mit Handschuhen» ist Marc-André ter Stegen, schon seit 2014 spielt er bei Barça, und daran soll sich so schnell nichts ändern. Wenn es nach dem Verein geht, jedenfalls. Man sei auf bestem Weg, heisst es, den bis 2022 laufenden Vertrag bereits jetzt zu verlängern. Nur: Clubpräsident Josep Maria Bartomeu verriet unlängst, dass ter Stegen eine Aufschiebung der Vertragsgespräche anregte – unter Verweis darauf, dass es wegen der Corona-Krise andere Prioritäten gebe.
Dieser Hinweis aus dem Munde Bartomeus verfestigte das Bild, wonach ter Stegen im Gegensatz zu anderen Profis, auch aus dem Barça-Kader, bestens weiss, auf welchem Planeten er lebt. Auch deshalb gilt er als ein Angestellter, der im Club besonderes Gewicht geniesst. Der deshalb sogar unbeschadet Berichte über angebliche Spannungen mit Kapitän Lionel Messi überstehen konnte. Bei einem Training sollen die beiden aneinandergeraten sein.
Bei Barça hat man wohlwollend registriert, dass ter Stegen die letzten Urlaubstage zwar wie diverse andere Profis des katalanischen Vorzeigevereins auf Ibiza verbrachte, aber anders als andere davon absah, mit seiner Ferienidylle in den Netzwerken zu triumphieren. In Barcelona schwärmen sie immer noch davon, dass er anfangs im überlaufenen Stadtzentrum lebte und für den Weg zur Arbeit im Stadion Camp Nou die U-Bahn benutzte.
Er will nichts Besonderes sein
Dass so ein Ritt in öffentlichen Verkehrsmitteln für Aufsehen sorgt, sagt viel über die Welt, in der sich Profis bewegen, über die Verehrung heidnischer Götter der Designer-Religion namens Fussball. Aber er erzählt nicht nur eine Menge über ter Stegen, sondern er passt auch zu einem Satz, den dieser der Zeitung «El País» bei einem Videochat-Interview aus seinem neuen Domizil im Küstenort Castelldefels diktierte: «Ich glaube nicht an den Torhüter, der sich vom Spiel abkoppelt, und auch nicht an den Fussballer, der sich vom Alltag löst.»
Sein Alltag wird nun von der Champions League dominiert, vom Duell des FC Barcelona mit dem FC Bayern am Freitag, und das bedeutet: vom Duell mit seinem Rivalen um das Gehäuse in der deutschen Nationalmannschaft, Manuel Neuer. Seit Tagen wird die Begegnung in den Fachmedien zum entscheidenden Mikroduell stilisiert – sei es im deutschen «Kicker» oder in den katalanischen Tageszeitungen «Mundo Deportivo» und «Sport».
Und es werden dabei natürlich die alten Geschichten aufgewärmt, die den Eindruck aufkommen liessen, Deutschlands Saga an Torwartkriegen würde ein neues Kapitel erfahren. Was mit Wolfgang Fahrian gegen Hans Tilkowski bei der WM 1962 in Chile begann und mit Toni Schumacher gegen Uli Stein (Mexiko 1986), Bodo Illgner gegen Andreas Köpke (USA 1994) und natürlich Oliver Kahn gegen Jens Lehmann (WM 2006) fortgesetzt wurde, schien mit dem Abschnitt Neuer gegen ter Stegen eine Fortschreibung zu bekommen.
Erinnert wurde an das skurrile Spiel in Wolfsburg gegen Serbien (1:1) im März 2019, als sich Neuer und ter Stegen jeweils eine Halbzeit lang im DFB-Tor versuchen durften. Und natürlich an die persönliche und nachvollziehbare Enttäuschung ter Stegens darüber, dass er im September desselben Jahres weder beim EM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande (2:4) noch in Nordirland (2:0) spielen durfte.

«Es ist nicht einfach, eine Erklärung für das zu finden, was ich erlebe. Ich gebe in jedem Spiel mein Bestes, um die Entscheidung zu erschweren. Ich versuche trotzdem alles, aber diese Reise mit der Nationalmannschaft war ein harter Schlag für mich», sagte ter Stegen damals. Neuer kanzelte seinen Herausforderer hinterher ab: «Der Mannschaft hilft das nicht. Wir Torhüter müssen zusammenhalten», sagte die deutsche Nummer 1. Und erhielt Rückendeckung durch die FC-Bayern-Honoratioren.
Letztlich waren das alles auch nur Vorboten einer Wachablösung, die sich irgendwann bei der Nationalmannschaft vollziehen wird – und über die angeblich auch beim FC Bayern nachgedacht wurde. Schon Ende 2018 waberte in Barcelona das Gerücht, wonach ter Stegen bei den Münchnern zum Kandidatenkreis zähle. Der Wahrheitsgehalt liess sich kaum verifizieren, aber in Anbetracht der neuerschen Verletzungsgeschichte und der Tradition, die besten deutschen Spieler in München zu konzentrieren, ergab die von der spanischen Zeitung «El País» veröffentlichte Spekulation durchaus einen Sinn.
Denn: Neuer und ter Stegen sind sich in ihrer Spielanlage ähnlich, glänzen seit Jahren auf einem ähnlichen Niveau und haben im Grunde nur zwei markante Unterschiede aufzuweisen. Das Alter, ter Stegen ist mit 28 sechs Jahre jünger – und die Körpergrösse, ter Stegen ist sechs Zentimeter kleiner als Neuer.
Neuer ist statistisch schlechter
Zieht man hingegen die Statistik zurate, war ter Stegen in der aktuellen Champions-League-Saison besser als Neuer: Er hat die beste Paradenquote des Turniers (81,5 Prozent), Neuer steht mit 73,9 Prozent auf Rang 11. Bislang blieb ter Stegen in der Königsklasse ohne einen Fehler, der seiner Mannschaft ein Gegentor gebracht hätte. Dafür hielt er seine Mannschaft im Wettbewerb, zum Beispiel mit einer Gala beim 0:0 in Dortmund. Neuer wiederum leistete sich jüngst im Achtelfinal-Rückspiel gegen Chelsea (4:1) einen Patzer – freilich erst, als das Duell längst zugunsten der Münchner entschieden war.
Gemeinsam haben sie auch dies: Beide warten schon lange auf einen Champions-League-Triumph. Neuer gewann 2013 das Triple mit den Bayern, ter Stegen zog 2015 mit Barcelona nach. Eine Wiederholung des Triple steht diesmal nur Neuer offen – ter Stegen hat mit Barcelona Meisterschaft und Pokal verspielt. Er steht also mit Barça vor seiner letzten Chance, in dieser seltsamen Saison einen Titel zu gewinnen. Und er darf damit rechnen, im Fokus zu stehen.
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