KMU in WinterthurWenn Start-ups erwachsen werden
Derzeit werden in Winterthur viele Start-ups gegründet. Firmen wie Helmedica oder Deep Impact haben diese Phase längst hinter sich. Aus den einstigen Jungunternehmen sind KMU geworden.

Derzeit trifft sich die Schweizer Start-up-Szene in Winterthur an den Start-up Nights. Dort wird vielleicht gerade der Grundstein für die KMU von morgen gelegt. Einige Winterthurer Unternehmen haben diesen Schritt schon geschafft. Einst als Start-up begonnen, beschäftigen sie heute Mitarbeitende aus aller Welt, zahlen Steuern und haben eine wichtige Position in ihrem Marktumfeld besetzt: zum Beispiel das Med-Software-Unternehmen Helmedica mit Sitz im Technopark. Die Firma bietet unter dem Namen Rockethealth eine Software für die Verwaltung der Krankengeschichten sowie die Patienten-App Benecura der Swica an. Ihre Kunden sind Ärzte, Apotheken und andere medizinische Dienstleister sowie Krankenkassen.
Gründer Christoph Baumann ist eigentlich Arzt und bezeichnet sich selbst als «Typ Verbesserer». «Im Spital war ich wohl eher der mühsame Assistenzarzt», sagt Baumann und lacht. Denn er habe sich nie mit der Erklärung «ist halt so» zufriedengegeben. «Ich habe immer nach Lösungen gesucht und wurde dafür mehr als einmal zu meinen Vorgesetzten zitiert.»
Nachts Gründer, tagsüber Arzt
Als Baumann nach seiner Zeit im Spital in einem Ärztenetzwerk arbeitete, hatte er das erste Mal mit Praxissoftware zu tun. «Es war das Jahr 2011, aber die Programme waren subjektiv gefühlt nicht zeitgemäss», sagt er. Die Dokumentation der Krankengeschichten kostete die Ärztinnen und Ärzte viel Zeit – deshalb machte sich der Typ Verbesserer ans Werk. Er wollte eine neue, effizientere Praxissoftware entwickeln: Die Idee zu Helmedica war geboren. «Nachts arbeiteten wir für unser Start-up, und tagsüber verdienten wir Geld dafür», erzählt Baumann. 2012 gründete er das Unternehmen Helmedica – zunächst an seiner privaten Adresse in Winterthur, später bewarb er sich dann für einen Büroplatz im Technopark.
Die Geldsuche für das Projekt gestaltete sich schwierig. Für die benötigten 1,5 Millionen Franken konnte das Start-up keine Investoren finden. «Das war damals hart, am Ende aber unser Glück», sagt Baumann. Auf der Suche nach einer Lösung kam er mit einem Softwarehersteller in Kontakt. Dieser schlug vor, das System von Helmedica für die Dokumentation der Krankengeschichten in seine bestehende Praxissoftware zu integrieren und die Entwicklung zu finanzieren. «Damit hatten wir einen starken Partner an unserer Seite und konnten trotzdem selbstständig, ohne fremde Gelder agieren.»
Dieses Jahr feiert Helmedica seinen 10. Geburtstag, und Baumann bezeichnet seine Firma nicht mehr als Start-up. «Aus dieser Phase sind wir definitiv raus.» Helmedica beschäftigt derzeit gut 30 Personen und ist am Wachsen. Und Baumann mit Team stellt sein Wissen jungen Gründerinnen und Gründern im Technopark zur Verfügung.
Ideen in Start-ups umsetzen
Den 10. Geburtstag feiert dieses Jahr auch das Winterthurer Softwareunternehmen Deep Impact. Einst machte dessen Gründer Christian Fehrlin eine Ausbildung zum Maschinenzeichner und arbeitete nach dem Militärdienst bei einer Werbeagentur. «Als dann Mitte der 90er-Jahre der Internetboom anbrach, wollte ich dort mitmachen», erzählt Fehrlin. Sein Chef bei der Werbeagentur sah darin keinen Nutzen, und Fehrlin entschied, eigene Wege zu gehen. Er baute eine Webagentur auf, die für viele Grossunternehmen Softwareprojekte umsetzte.
«Manchmal nervt mich das fancy Gehabe in der Start-up-Szene.»
2011 war Fehrlin auf der Suche nach Veränderung. Eine Geschäftspartnerschaft scheiterte jedoch, und der Unternehmer ging 2012 mit dem Start-up Deep Impact wieder eigene Wege. «Wir wollten nicht nur Plattformen bauen, sondern auch ein Labor für eigene, digitale Ideen», sagt er. Deep Impact hilft Unternehmen seither bei der digitalen Transformation und baut innovative Softwareplattformen in kurzer Zeit – doch nicht nur im Auftrag von Kunden. Die Macherinnen und Macher von Deep Impact setzen eigene Ideen in Start-ups um, die sie als Tochterunternehmen gründen. Darunter sind zum Beispiel ein Fachverlag oder eine Software für den Frucht- und Gemüsehandel.

Als Gründerprofi will sich Fehrlin dennoch nicht bezeichnen. «Aber wir haben langsam den Dreh raus, wie man gründet, auch wenn nicht alles gleich gut funktioniert.» Seit 2014 rekrutiert das Unternehmen an der Rychenbergstrasse Mitarbeitende aus der ganzen Welt. «Der beste Entscheid, den ich je gefällt habe», sagt Fehrlin. Bei Deep Impact und den Tochterunternehmen im gleichen Haus arbeiten über 70 Mitarbeitende aus 21 Nationen. «Und keiner hatte je ein Problem, sich in Winterthur zu integrieren.» Die Stadt sei ein attraktiver Standort, deren Start-up-Szene sich in den letzten Jahren stark entwickelt habe. «Das ist sehr positiv, auch wenn mich das fancy Gehabe der Szene manchmal nervt.» Er sei da eher ein Fossil, sagt der 50-Jährige und lacht.
«Es geht nie linear aufwärts»
Christoph Baumann und Christian Fehrlin haben ihre Start-ups von einst zu KMU von heute entwickelt. Doch beide sind sich einig: Den agilen und innovativen Geist vom Anfang möchten sie in ihren Unternehmen weiterhin leben. Jungen Gründerinnen und Gründern empfiehlt Fehrlin den Slogan «Done is better than perfect». Man solle die Produkte so schnell wie möglich rauslassen und dann schauen, wie der Markt darauf reagiere. «Dieser Gedanke prägt noch immer unsere ganze Strategie», sagt er. Denn in vielen Unternehmen würden sich Softwareprojekte über Jahre hinziehen, und am Ende komme eine Lösung heraus, die keiner mehr bedienen könne, auch wenn sie vielleicht perfekt jegliche Fälle abbilde.
Und auch Baumann hat Tipps für die nächste Start-up-Generation: «Den Kurs halten und sich nicht so schnell abbringen lassen, auch wenn es mal nicht so gut läuft.» Der Weg zum KMU gehe nie linear aufwärts, sondern immer auch mal abwärts. Er rät den Gründerinnen und Gründern, ihre Kompetenzen auszuleben und auf starke Partnerschaften zu setzen. «Und mit Glaubwürdigkeit verdient man sich das Vertrauen.»
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