Neues ErbrechtWer sicher sein will, passt jetzt sein Testament an
Das neue Erbrecht verändert unter anderem die Pflichtanteile für Angehörige. Deshalb kann ein aktuelles Testament ab kommendem Jahr anders ausgelegt werden. Eine Übersicht.

Weil das heutige Erbrecht in vielerlei Hinsicht veraltet ist, tritt Anfang 2023 eine überarbeitete Fassung in Kraft. Wer seinen Nachlass bereits geregelt hat, sollte die neue Regelung prüfen. Denn der bisherige letzte Wille könnte ab kommendem Jahr falsch verstanden werden. Dazu die wichtigsten Punkte.
Warum wird das Erbrecht revidiert?
Am Anfang der Gesetzesrevision stand die Idee, das Erbrecht der gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen. Das Erbrecht aus dem Jahr 1912 orientiert sich am traditionellen Familienbild mit Ehepaaren. Stirbt der Ehemann, so hat die Ehefrau Anspruch auf einen vorgeschriebenen Pflichtteil des Nachlasses. Die unverheiratete Partnerin jedoch nicht.
Die ursprünglich angestrebte Modernisierung wurde zwar nicht vollumfänglich umgesetzt. Doch immerhin kommt es zu einer Flexibilisierung: Es gibt mehr frei verfügbare Mittel, die an eine Konkubinatspartnerin oder an einen Konkubinatspartner vererbt werden können. Zudem werden verschiedene weitere Punkte angepasst.
Was gilt bei den Pflichtteilen?
Die wichtigste Änderung betrifft die Pflichtteile. Dabei geht es um den Anteil, der den Erbinnen und Erben nicht entzogen werden kann und den diese notfalls auch vor Gericht erstreiten können. Mit der neuen Rechtsgrundlage, die Anfang 2023 in Kraft tritt, wird der Pflichtteil der Nachkommen reduziert und der Pflichtteil der Eltern ganz abgeschafft. Dadurch steigt der erwähnte frei verfügbare Teil.
Die Erblasserin oder der Erblasser muss aber schriftlich festlegen, wer das frei verfügbare Vermögen erhalten soll. Liegt kein Testament vor, gelten die gesetzlichen Erbteile, die sich von den Pflichtteilen unterscheiden können. Diese bleiben unverändert.
Muss ich jetzt das Testament anpassen?
Ein Testament, das jetzt noch klar ist, kann unter dem revidierten Recht viele Fragen aufwerfen, zu Missverständnissen oder im schlimmsten Fall gar zu Streit führen. Als Beispiel dazu folgende Formulierung, wie sie in einem Testament stehen kann: «Meine Kinder erhalten den Pflichtteil, der frei verfügbare Teil geht an meine Ehefrau.» Wenn nun der Ehemann im kommenden Jahr stirbt, bleibt unklar, ob er unter dem revidierten Gesetz den ab 2023 neu kleineren Pflichtteil für die Kinder gewählt hätte.
Noch grössere Unklarheiten sind bei Konkubinatspaaren ohne Kinder möglich. Wenn die Eltern noch leben, können sie nach heutigem Recht einen Pflichtteil von der Hälfte des Nachlasses geltend machen. Nach neuem Recht haben sie gar keinen Pflichtteil mehr. Selbst wenn zum Beispiel ein Erblasser seiner Lebenspartnerin im Testament nach altem Recht den «Maximalbetrag» vermacht, ist die Auslegung nach neuem Recht schwierig: Sollen die Eltern wirklich gar nichts mehr erhalten?
Um den Angehörigen Auseinandersetzungen zu ersparen, ist es empfehlenswert, die Nachlassregelung anzupassen. Verheiratete Eltern mit Kindern können zum Beispiel ausdrücklich festhalten, dass der Pflichtteil für die Kinder sinkt, wie es das revidierte Recht ab 2023 vorsieht. Die Kinder können aber auch einen zusätzlichen Anteil aus dem frei verfügbaren Nachlass erhalten. Wer keine Kinder hat, kann für den frei verfügbaren Teil beispielsweise Partner, Eltern oder Organisationen berücksichtigen.
Welche Formvorschriften sind zu berücksichtigen?
Grundsätzlich gilt: Ein eigenhändiges Testament muss vom Anfang bis zum Ende handschriftlich und gut leserlich geschrieben sein. Der letzte Wille muss klar zum Ausdruck kommen, und Pflichtteile sollten nicht verletzt werden. Gültig ist das Testament nur mit Ort, Datum sowie Unterschrift am Ende des Dokuments. Eine Durchnummerierung mehrerer Seiten verdeutlicht, dass sie zusammengehören (Seite 1 von 3 etc.).
Korrekturen sind erlaubt. Wer Teile durchstreicht und neu schreibt, sollte die Korrektur mit Datum und Unterschrift versehen. Möglich wäre auch eine Ergänzung in einem zusätzlichen Dokument, das die Formvorschriften seinerseits erfüllen muss. Martin Eggel, Professor an der Universität St. Gallen und Experte für Erbrecht, empfiehlt aber, das Testament bei wesentlichen Korrekturen neu zu schreiben. Denn je grösser das Flickwerk ist, desto schwieriger wird die Interpretation.
Bei Neufassungen ist es wichtig, festzuhalten, dass frühere Testamente aufgehoben werden und der letzte Wille allein mit der aktuellen Version erklärt wird.
Es ist nicht zwingend notwendig, für das Testament einen Notar beizuziehen. In komplexeren Fällen und bei Unsicherheiten können die zusätzlichen Kosten für den Notar aber sinnvoll investiertes Geld sein.
Anders als das Testament muss ein Erbvertrag zwingend von einem Notar beurkundet werden. Mit einem solchen Vertrag und dem Einverständnis aller Erben sind auch Lösungen möglich, bei denen die Pflichtteile nicht eingehalten werden.
Was gilt neu bei Schenkungen?
Für Schenkungen gibt es in Zusammenhang mit einem Erbvertrag ab 2023 strengere Vorgaben. Wer einen Erbvertrag abgeschlossen hat, kann nach geltendem Recht relativ frei etwas verschenken. Die Hürde für Ausnahmen, die als «treuwidrig» taxiert werden, ist vergleichsweise hoch. Dazu zählen beispielsweise grössere Schenkungen bei schwerer Krankheit kurz vor dem Tod.
Ab 2023 gelten deutlich strengere Vorgaben: «Erfolgt die Erbregelung mit einem Erbvertrag, so sieht das Gesetz künftig vor, dass der Erblasser zu Lebzeiten quasi ein Schenkungsverbot trifft, wenn nichts anderes vereinbart worden ist», sagt Martin Eggel. Eine Ausnahme sind Gelegenheitsgeschenke, wobei dies ein dehnbarer Begriff ist. Da seien noch viele Fragen offen, sagt der Experte.
Was ist bei einer Scheidung zu berücksichtigen?
Bei schwerer Krankheit eines Ehepartners oder einer Ehepartnerin kam es bei Scheidungsverfahren in der Vergangenheit wiederholt zu Verzögerungen. Das schnöde Motiv: erbrechtliche Ansprüche. Denn nach geltendem Recht haben Eheleute mindestens Anspruch auf den Pflichtteil, solange sie nicht geschieden sind. Kann die Scheidung so lange hinausgeschoben werden, bis die betroffene Person stirbt, zahlt sich das manchmal finanziell aus.
Um solches Gebaren zu unterbinden, entfällt der Pflichtteil des Ehegatten oder der Ehegattin ab kommendem Jahr bereits mit der Einreichung des Scheidungsbegehrens, wie Erbrechtsexperte Martin Eggel erläutert. Damit wird auch das Interesse hinfällig, ein Scheidungsverfahren unnötig in die Länge zu ziehen.
Wichtig: Zusätzlich zum Scheidungsbegehren muss im Testament ausdrücklich festgehalten werden, dass der Ehepartner oder die Ehepartner aus dem Nachlass nichts erhalten soll. Sonst bleibt dieser erbrechtliche Anspruch bestehen.
Bernhard Kislig ist Redaktor im Ressort Wirtschaft der Zentralredaktion von Tamedia. Er beantwortet Fragen zu Geld und Recht. Daneben recherchiert er diverse Wirtschaftsgeschichten. Zu seinen Themenschwerpunkten zählen berufliche Vorsorge, Anlage-Themen, Blockchain und Steuern.
Mehr Infos@berrkiiFehler gefunden?Jetzt melden.