Debatte um KunsteventDocumenta zeigt antisemitische Motive
Im Zentrum der Weltkunstschau in Kassel steht ein riesiges Banner, das massiv antisemitische Figuren zeigt. Wer aber sind die Künstler? Und wie konnte es dazu kommen?

Die Kulturstaatsministerin fasst die Sache so zusammen: «Das ist aus meiner Sicht antisemitische Bildsprache.» Drei Tage nach der Eröffnung.
Claudia Roth spricht über ein Riesenwerk auf der Weltkunstschau Documenta in Kassel. Eines der Signature-Pieces, unweit des Eingangs des Fridericianums. Ein Stoffbild von neun mal zwölf Metern, mitten im Herzen der Documenta.
Nur einen Tag zuvor hatte sich Claudia Roth noch starkgemacht für die Documenta Fifteen, sie hatte die Weltkunstschau in Kassel gegen Vorwürfe des Antisemitismus in Schutz genommen und zum Besuch der Ausstellung aufgerufen. Wenig später sind auf einem der Werke der etwa 1700 Künstler, die in Kassel an 32 Ausstellungsorten zu sehen sind, Motive entdeckt worden, die eindeutig antisemitisch sind: «People's Justice» heisst es, es stammt vom Künstlerkollektiv Taring Padi aus Yogyakarta, Indonesien, aus dem Jahr 2002.
Die Presse bekam das Werk nicht vorab zu sehen. Aus interessanten Gründen.
Es handelt sich um ein haushohes, an einem Gerüst vor der Documenta-Halle aufgehängtes Wimmelbild. Unter dem Blick eines Totenschädels mit blutunterlaufenen Augen ist eine apokalyptische Bürgerkriegsszene zu sehen, die mit Demonstranten, Teufeln, Engeln und Polizisten bevölkert ist.
In dieser Fülle von Menschen stechen zwei Figuren ins Auge: ein Schwein, auf dessen Soldatenhelm das Wort «Mossad» steht, um den Hals trägt es ein rotes Tuch mit Davidstern. Und eine weitere Figur, die einen orthodoxen Juden karikiert, mit Reisszähnen und SS-Runen auf dem Hut.


Warum aber war das Riesenwerk erst an Tag drei der Documenta aufgefallen und in den sozialen Netzwerken diskutiert worden?
Weil es nach Angaben der Documenta-Sprecherin erst am Freitag gegen 17 Uhr installiert worden war, zwei Tage nach der Voreröffnung für Kritiker und Fachbesucher und zu einem Zeitpunkt, als viele von ihnen schon wieder abgereist waren. Der Grund: Beim Versuch, «diese Arbeit im öffentlichen Raum» aufzuhängen, sei der Stoff gerissen. «Das Werk musste daher zur Restauration, und ein Sattler hat die Seiten verstärkt.»
Schon seit Jahresbeginn hatte es Vorwürfe gegen das Kuratorenkollektiv Ruangrupa gegeben, von Antisemitismus war die Rede. Die Documenta-Macher hatten aber in den Wochen vor der Eröffnung stets beteuert, sie würden keinerlei antisemitische Äusserungen und Darstellungen zulassen.

Nach dem Presserundgang am Mittwoch vergangener Woche hatte es einige Kritik an der Entscheidung für die Werke aus der Serie «Guernica Gaza» gegeben. Sie zeigen Klassiker der Kunstgeschichte von Delacroix oder van Gogh, in die israelische Soldaten montiert sind. Bildsprache und Titel implizierten eine Gleichsetzung deutscher NS-Truppen in Spanien mit der israelischen Armee im Gazastreifen.
Die Frage, ob auf der Documenta Antisemitismus einen Platz hat, ist mit dem Werk von Taring Padi aufs Übelste beantwortet. Uwe Becker, der Antisemitismusbeauftragte des Landes Hessen, sagt: «Aus meiner Sicht vermittelt das Bild antisemitische Stereotype und kann nicht so hängen bleiben.» (Weitere Reaktionen lesen Sie in der Box.)
«Auf der Documenta wurde diese rote Linie überschritten.»
In einem Statement des Zentralrats der Juden, der zuvor nachdrücklich vor Antisemitismus auf der Documenta Fifteen gewarnt hatte, schreibt der Präsident Josef Schuster: «Für seine Bedenken gegenüber der diesjährigen Documenta wurde der Zentralrat der Juden von vielen Seiten kritisiert. Sogar Rassismus wurde uns indirekt vorgeworfen. Es spielt jedoch keine Rolle, woher Künstler stammen, die Antisemitismus verbreiten. Kunstfreiheit endet dort, wo Menschenfeindlichkeit beginnt. Auf der Documenta wurde diese rote Linie überschritten. Die Verantwortlichen der Documenta müssen jetzt ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und Konsequenzen ziehen.»
Bei «People's Justice» handelt es sich um ein älteres Werk des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi. Dessen Bilder hängen an einer Kaufhausfassade auf der anderen Seite des Friedrichsplatzes, ihnen wurde zudem das gesamte Hallenbad Ost überlassen, wo sie ältere Werke zeigen, die seit ihrer Gründung Ende der Neunziger entstanden sind.

Wer aber sind die Mitglieder von Taring Padi? Im Besucherhandbuch der Schau findet sich der Hinweis, dass sich der Name der Gruppe aus den Wörtern für Reis und Zahn zusammensetze und auf die Spitze des Reiskorns anspiele, an dem man sich «bei Unaufmerksamkeit die Finger» verletzen könne. «In dem Namen steckt also auch die Aufforderung, die eigene Aufmerksamkeit, den eigenen Geist zu schärfen.»
Der Schaden für die Kunst ist gewaltig.
Das Kollektiv ist mit etwa 100 monumentalen Stoffbildern und mehr als tausend Pappfiguren angereist. Einiges davon lag während der Vorbesichtigungstage zusammengerollt in Stapeln auf dem Boden. Ein Haufen von Bedeutungen, dessen Brisanz jenseits von feministischen Parolen, Kritik an Grundbesitz oder Diktaturen sich nun entrollt.

Die Fragen, die sich nun stellen, sind unangenehm bis unwürdig, und sie sind von grosser Tragweite, weit über die Kunstwelt hinaus. Ist das skandalöse Riesenbild aus Canvas tatsächlich gerissen? Haben sich wirklich deutsche Restauratoren im Auftrag der Weltkunstschau über ein Werk gebeugt, das Juden mit blutroten Augen, geschliffenen Zähnen, SS-Runen oder mit Schweinefratzen zeigt, um es dann hissen zu lassen? Warum sind die Kuratoren, die veranstaltende Documenta GmbH oder die Stadt Kassel nicht eingeschritten? Keiner der Zuständigen war am Montag zu einer Stellungnahme bereit.
Kontrollverlust oder ein vorsätzlicher Anschlag auf die Weltkunstschau?
Der Schaden ist jedenfalls gewaltig. Nicht nur, weil die Kuratoren in Kauf genommen haben, dass Juden in Deutschland diffamiert werden. Er ist gewaltig, weil der Ruf der vielen anderen Künstler mitleidet. Sie alle konnten sich nicht darauf verlassen, dass dieser Dialog in einer Weise moderiert würde, die sowohl den nicht-westlichen Stimmen als auch der Sensibilität, die in Deutschland bei diesem Thema selbstverständlich sein muss, gerecht wird. Er ist gewaltig, weil der Beleg erbracht ist, dass das Konzept einer Weltkunstschau den Documenta-Machern über den Kopf gewachsen, wenn nicht gar missbraucht worden ist.
Vor allem aber ist die Hoffnung zerschlagen, dass auf dieser Weltkunstschau der erhoffte Dialog des Südens mit dem Westen an der Documenta in Kassel stattfinden könnte.
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