Historische Kaltfront in den USAMehr als 50 Tote nach Schneechaos in den USA – weitere befürchtet
Elliott hat grossen Teilen der USA am Weihnachtswochenende meterhohen Schnee, Temperaturen im zweistelligen Minusbereich und orkanartigen Wind gebracht. Hunderttausende Haushalte waren von Stromausfällen betroffen.
In den USA überschattete der arktische Sturm Elliott mit seinen Auswirkungen das diesjährige Weihnachtsfest. Die Zahl der Toten ist inzwischen laut US-Medien auf über 50 gestiegen. Sie kamen bei Unfällen auf eisglatten Fahrbahnen ums Leben, erfroren bei extremen Minustemperaturen oder kamen unter anderen wetterbedingten Umständen um, wie die Behörden mitteilten.
«Mein Herz ist bei denjenigen, die an diesem Feiertagswochenende geliebte Menschen verloren haben», schrieb Präsident Joe Biden auf Twitter. Er hat Notstandshilfen des Bundes für den besonders betroffenen Bundesstaat New York bewilligt.
Allein im Bezirk Erie im Bundesstaat New York kamen mindestens 27 Menschen ums Leben, wie Marc Poloncarz, der Verantwortliche des Bezirks, auf Twitter mitteilte. Die Behörden rechneten am Dienstag jedoch mit weiteren Opfern, die unter den Schneemassen begraben sein sollen. «Leider bergen wir noch immer Tote», sagte der Polizeichef der am stärksten betroffenen Stadt Buffalo, im Westen des Bundesstaates New York, dem Fernsehsender CNN.
Landesweit seien im Zusammenhang mit dem arktischen Wintersturm Elliott mehr als 51 Menschen gestorben, berichtete der Sender ABC. Der Sender CNBC bezifferte die Zahl der Todesopfer sogar mit 57.
Elliott hatte grossen Teilen der USA am Weihnachtswochenende meterhohen Schnee, Temperaturen im zweistelligen Minusbereich und orkanartigen Wind gebracht. Besonders betroffen war die Region rund um die Grossen Seen im Nordosten der USA und an der Grenze zu Kanada. Hunderttausende Haushalte waren von Stromausfällen betroffen. Der eigentlich an Kälte und Stürme gewöhnte Westen des Bundesstaates New York verschwand unter meterhohem Schnee. Seit der vergangenen Woche herrschen dort polare Temperaturen. Erst am Dienstag soll gemässigteres Wetter einsetzen.
Die arktische Kaltfront brachte zudem die Weihnachtspläne vieler Reisender durcheinander: Von Freitag bis Sonntag wurden nach Angaben der Flugdaten-Website «FlightAware» mehr als 10’000 Flüge gestrichen.
Buffalo von der Aussenwelt abgeschnitten
Kathy Hochul, die Gouverneurin des Bundesstaats New York, sprach von einem «historischen Schneesturm» und warnte vor weiteren Schneefällen in der Stadt Buffalo, wo bereits Dutzende Menschen gestorben sind. «Der Sturm lässt nach, aber wir sind noch nicht über den Berg», schrieb sie auf Twitter. Sie rief die Menschen auf, kein Risiko einzugehen und zu Hause zu bleiben.

Der Sheriff von Erie County, John Garcia, bezeichnete den Schneesturm als den Schlimmsten, den er je erlebt habe. Zeitweise konnten die Rettungsdienste nicht ausrücken, weil sie keinerlei Sicht mehr hatten. «Es ist herzzerreissend, wenn man Anrufe von Familien mit Kindern bekommt, die sagen, dass sie erfrieren», sagte er dem Sender CNN.
Die Strassen von Buffalo waren am Montag grösstenteils weiter von beeindruckenden Schneemassen blockiert. Auf Bildern aus dem Stadtzentrum waren quer auf den Strassen stehende Autos unter Schneebergen zu sehen.
Buffalo war über Weihnachten zeitweilig von der Aussenwelt abgeschnitten, Rettungsdienste konnten besonders betroffene Bezirke nicht erreichen. Haustüren verschwanden hinter bis zu drei Meter hohen Schneeverwehungen, durch Stromausfälle bei eisigen Temperaturen wurde die Situation lebensbedrohlich.
Im Landkreis Erie County, in dem Buffalo liegt, seien einige Menschen in ihren Autos erfroren, andere wurden auf der Strasse in Schneewehen entdeckt, sagte Behördenvertreter Mark Poloncarz. «Das ist nicht das Weihnachtsfest, das wir uns gewünscht haben.»

Die Rettungsdienste in Erie County waren nach Angaben von Poloncarz zeitweise überlastet. Er rief dazu auf, nur in den «kritischsten, lebensbedrohlichsten Fällen» den Notruf zu wählen, um die Leitungen frei zu halten. Am Samstag hätten Rettungskräfte per Telefon bei der Geburt eines Kindes geholfen, schrieb die «New York Times». Bei Einbruch der Dunkelheit seien am Heiligabend noch immer Menschen aus ihren Autos gerettet worden, hiess es weiter. Einige von ihnen seien bereits seit Freitag dort eingeschlossen gewesen.
Minus 33,9 Grad Celcius gemessen
In New York City riefen Stromversorger die Menschen dazu auf, Energie zu sparen. Heizungen sollten so wenig wie möglich aufgedreht, Geräte wie Geschirrspülmaschinen oder Wäschetrockner möglichst nicht verwendet werden, hiess es in einer Mitteilung des Betreibers Con Edison. Diese Massnahmen trügen dazu bei, eine ausreichende Versorgung mit Erdgas für den Rest des Wochenendes sicherzustellen.
Die kälteste Temperatur wurde in der Nacht zum Sonntag mit minus 33,9 Grad Celsius im Bundesstaat North Dakota westlich der Grossen Seen gemessen, wie der Wetterdienst mitteilte. Reisende wurden zu äusserster Vorsicht aufgerufen und vor sogenannten Whiteout-Bedingungen gewarnt, also vor stark eingeschränkter Sicht und fehlender Orientierung durch den Schnee.
Nationalgarde nach Buffalo entsandt
Hochul entsandte rund 200 Mitglieder der Nationalgarde nach Buffalo und Umgebung, die Hunderte Menschen aus eingeschneiten Autos und Häusern ohne Strom in Sicherheit brachten. Nach Angaben der Behörden waren aber weiterhin Menschen von der Aussenwelt abgeschnitten.

Die Meteorologin Kelsey McEwen aus dem kanadischen Toronto schrieb im Onlinedienst Twitter, im Eriesee seien Wellen von bis zu acht Metern Höhe gemeldet worden, während am Seeufer dem NWS zufolge Windböen von bis zu 120 Kilometern pro Stunde über die Stadt Fairport Harbor im Bundesstaat Ohio hinwegfegten.
53 Verletzte bei Busunfall in Kanada
Im Westen Kanadas sind bei einem Busunfall mehr als 50 Menschen verletzt worden. Der Unfall habe sich in der Provinz British Columbia in der Nähe der Stadt Kelowna ereignet, schrieb David Eby, der Premierminister der Provinz, am Samstagabend (Ortszeit) auf Twitter. 53 Menschen seien in drei Krankenhäuser gebracht worden, berichteten kanadische Medien.
«Unsere Gedanken sind bei den Betroffenen, ihren Angehörigen, den Ersthelfern und den Mitarbeitern des Gesundheitswesens, die alles geben», schrieb Eby auf Twitter. Was den Unfall ausgelöst hatte, war zunächst nicht bekannt. Zuvor hatten die Behörden in der Provinz vor gefrierendem Regen und überschwemmten Strassen durch eisverstopfte Abflüsse gewarnt. Autofahrer würden dringend gebeten, alternative Reisepläne in Erwägung zu ziehen, hiess es am Samstag.

Ein Paar aus Buffalo sagte der Nachrichtenagentur AFP, wegen der völlig unpassierbaren Strassen verzichte es auf die zehnminütige Fahrt zur Weihnachtsfeier mit der Familie. Viele Feuerwehrleute schickten «noch nicht einmal Fahrzeuge zu Einsätzen hinaus», sagte die 40-jährige Rebecca Bortolin. Ihr Verlobter Ali Lawson sagte, er wolle trotz seiner Rückenschmerzen lieber zu Hause ausharren: Die Fahrt ins Krankenhaus sei zu gefährlich.
Die Verkehrsämter mehrerer Bundesstaaten rieten derweil Autofahrern, lieber zu Hause zu bleiben – und das zur beliebtesten Reisezeit des Jahres. Millionen Reisende sassen zudem auf dem Weg zu ihren Familien an Flughäfen fest, darunter in Atlanta, Chicago, Denver, Detroit und New York.

Mit Blick auf den Flugverkehr gab US-Verkehrsminister Pete Buttigieg später am Samstag vorsichtige Entwarnung. Auf Twitter schrieb er, dass «die extremsten Störungen hinter uns liegen, da sich der Betrieb der Fluggesellschaften und Flughäfen allmählich erholt».
Frau stirbt vor Heim
Für manche hatte der arktische Sturm Elliott aber sehr ernste Folgen: Im Bundesstaat Michigan war demnach am Freitagmorgen eine 82-jährige Frau tot vor einer Einrichtung für betreutes Wohnen aufgefunden worden. Ein Schneepflugfahrer, der den Parkplatz der Einrichtung räumte, entdeckte die Frau im Schnee, wie NBC unter Berufung auf die örtliche Polizei berichtete. Sie starb später im Spital. Wetterbedingte Todesfälle gingen aber in den meisten Fällen auf Verkehrsunfälle auf spiegelglatten oder verschneiten Strassen zurück. Auch andere Sender berichteten von einer zweistelligen Zahl an Todesopfern.
New York mit seinen etwa acht Millionen Einwohnern hatte am Freitag einen seltenen Temperatursturz erlebt: Innerhalb nur weniger Stunden fiel das Thermometer von plus 11 auf minus 12 Grad. Am Morgen hatten sich die New Yorker noch mit leichter Jacke und ohne Handschuhe zu den letzten Weihnachtseinkäufen begeben. Am Nachmittag und Abend dagegen blieben Restaurants und Bars für den Abend vor den Feiertagen ungewöhnlich leer, während sich viele Menschen lieber Zuhause einkuschelten.

Der US-Wetterdienst hat vor den niedrigen Temperaturen gewarnt. Im Bundesstaat Montana seien am frühen Samstagmorgen minus 40 Grad Celsius gemessen worden. In insgesamt 48 Bundesstaaten sanken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt. Bereits wenige Minuten in der Kälte könnten zu Erfrierungen führen, hiess es.
Reporter stänkert in der Kälte
Zu landesweitem Ruhm gelangte ein Sportreporter des Lokalsenders KWWL, der kurzerhand als Wetterreporter für die Berichterstattung aus der klirrenden Kälte Iowas im Mittleren Westen abgestellt wurde. Mit jeder Liveschaltung wurde Mark Woodley mürrischer. Auf die Frage des Moderators, wie er sich draussen fühle, antwortete Woodley: «Genauso wie vor acht Minuten, als du mich das schon mal gefragt hast.»
Woodley nutzte seine Schalten den ganzen Morgen über, um seinem Unmut Ausdruck zu verleihen: «Welchen besseren Anlass gibt es, den Sportreporter zu bitten, fünf Stunden früher zu kommen, als er normalerweise aufwachen würde, sich in den Wind, den Schnee und die Kälte zu stellen und anderen Leuten zu sagen, dass sie nicht dasselbe tun sollen?» Er habe bis zu diesem Tag nicht einmal gewusst, dass es auch ein 3:30 Uhr am Morgen gebe.
Warnung vor «Bombenzyklon»
Vor dem Weihnachtswochenende hatten wegen des Sturmtiefs Elliott bereits mehr als 200 Millionen Menschen Unwetterwarnungen erhalten. Betroffen waren zunächst vor allem der Norden und der mittlere Westen der USA. Doch auch in Bundesstaaten im Süden des Landes gab es Warnungen vor extremem Frost. In der Nacht zu Heiligabend verlagerte sich der Sturm mehr in den östlichen Teil des Landes. Mehrere Bundesstaaten, darunter New York, riefen den Notstand aus. «Mutter Natur verlangt uns dieses Wochenende alles ab, was sie zu bieten hat», sagte die Gouverneurin von New York, Kathy Hochul.

US-Medien warnten unter Berufung auf Wetterexperten vor der möglichen Entstehung eines besonderen und schweren Sturms, eines sogenannten «Bombenzyklons» – ein Wetterphänomen, bei dem der Luftdruck innerhalb kurzer Zeit extrem abfällt und die Wucht des Sturms verstärkt. In den Bundesstaaten Montana, South Dakota und Wyoming waren bereits am Vorweihnachtstag Temperaturen um minus 45 Grad Celsius gemessen worden. Experten rechneten mit Temperaturen bis zu minus 60 Grad Celsius und damit fast wie auf dem Mars. In Denver im US-Bundesstaat Colorado fielen die Temperaturen laut Meteorologen beim Durchzug der arktischen Kaltfront innerhalb von 24 Stunden um rund 40 Grad.

Besonders hart trifft es diejenigen, die kein Dach über dem Kopf haben. Überall im Land versuchen Helfer, die vielen Obdachlosen vor der Kälte zu retten. In einer Kirchenmission in Augusta im US-Bundesstaat Georgia bereiteten sie sich auf einen Ansturm vor, wie die «New York Times» berichtete. «In einer normalen Nacht geht es vielleicht nicht um Leben und Tod», sagte der Missionsleiter. «Aber jetzt schon.» In Salt Lake City im Bundesstaat Utah sind Medienberichten zufolge bereits Anfang der Woche mindestens fünf Obdachlose erfroren. Und sogar in Miami, wo es normalerweise eher warm ist, hat die Obdachlosenhilfe ihren Kälte-Notfall-Plan in Kraft gesetzt.

Doch genauso schnell wie der Kälte-Spuk über die USA hereingebrochen ist, könnte er auch wieder vorbei sein. In einigen Gegenden im Nordwesten des Landes sollen die Temperaturen bald wieder in die Höhe schnellen, sobald der Kern der kalten Luft durchgezogen sei, prognostizierte der nationale Wetterdienst. An vielen Orten soll es bereits bald wieder um 20 bis 30 Grad wärmer sein.

SDA/AFP
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