Velofahren in WinterthurHelmpflicht könnte Kinder und Jugendliche vom Velofahren abhalten
Vier Schweizer Städte sagen Nein zu einem Helmobligatorium. Stattdessen wollen sie die Veloinfrastruktur ausbauen. Damit sind sie mit Pro Velo auf einer Linie.

Der Bundesrat schlägt vor, für Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren eine Velohelmpflicht einzuführen. In einer gemeinsamen Medienmitteilung stellen sich die Städte Winterthur, Zürich, Basel und Bern nun gegen diesen Vorschlag.
Sie sehen in der Verbesserung der Veloinfrastruktur das weitaus effektivere Instrument, um das Velofahren sicherer zu gestalten und zu fördern.
Mehr Sicherheit durch mehr Velofahrende
Das sieht auch Kurt Egli, Geschäftsführer von Pro Velo Winterthur, so: «Das ist auffällig in den Velonationen Dänemark und Holland, wo kaum jemand mit einem Velohelm unterwegs ist.» Die Infrastruktur für Velofahrerinnen und Velofahrer sei dort sehr gut ausgebaut. Das erhöhe die Zahl der Velofahrenden, was wiederum das Unfallrisiko mindere, weil die Velos dominanter seien im Verkehr. Diesen Effekt bezeichnet man als «safety in numbers».
Gerade ein Helmobligatorium für Jugendliche, so die Befürchtung der vier Städte, könnte sich kontraproduktiv auf die Zahl der Velofahrenden auswirken. Ein Argument, das für Kurt Egli keineswegs aus der Luft gegriffen ist. «Ein Helmobligatorium würde die Hürde zum Velofahren zweifellos erhöhen.» Sei dies nun, weil ein Helm als unbequem oder uncool empfunden werde.
Der Pro-Velo-Geschäftsführer sieht weitere Schwachpunkte an einem Helmobligatorium für 12- bis 16-Jährige: «So signalisiert man den Jugendlichen, dass es sich um Kinderkram handelt. Wer 17 wird, verzichtet auf einen Helm, weil er endlich keinen mehr tragen muss.» Da keine Ausweispflicht besteht, wäre es laut Egli zudem schwierig, die Einhaltung der Helmpflicht zu kontrollieren und durchzusetzen.
«Velohelme senken das Unfallrisiko nicht. Sie können höchstens die Folgen eines Unfalls mildern», gibt Egli ausserdem zu bedenken. In 30 Prozent der Fälle würden Velohelme sogar zu Nackenverletzungen führen. Wichtig sei es daher in erster Linie, einen Sturz zu vermeiden.
Auf dem richtigen Weg
Welche Anstrengungen unternimmt Winterthur tatsächlich, wenn es um die Veloinfrastruktur geht? Erst im Dezember hat die Stadt im Hauptbahnhof die neue Velo- und Fussgängerunterführung eröffnet. Kürzlich hat das Tiefbauamt 3000 Stellen auf dem ganzen Velo- und Fussgängernetz systematisch untersucht. 400 Punkte hat es als Schwachstellen mit «hohem Handlungsbedarf» identifiziert. Sie sollen in den nächsten drei bis fünf Jahren beseitigt werden.
Laut Herbert Elsener, dem Leiter Verkehr der Stadt, wird bei sämtlichen Strassenprojekten auch die Infrastruktur für Velos verbessert. Sei dies zum Beispiel durch breitere Fahrstreifen oder abgesetzte Velowege, Aufstellbereiche und Vorgrün bei Knoten mit Lichtsignalanlagen oder die Möglichkeit für Velos, bei Rotlicht rechts abzubiegen.
Zwei weitere Projekte, die sich positiv für die Velofahrenden auswirken werden, sind die geplanten Veloschnellrouten, die bis 2030 grösstenteils realisiert sein sollen. Ausserdem weitgehend flächendeckendes Tempo 30 bis in zwanzig Jahren.
«Winterthur ist als Velostadt auf dem richtigen Weg, es geht aber zu langsam», sagt Kurt Egli von Pro Velo. «Manchmal geht es mir auch zu langsam», entgegnet darauf Herbert Elsener. Hinter zahlreichen Projekten stecke aber ein sehr aufwendiges Verfahren. Sei der politische Entscheid einmal gefällt, würden teilweise Rechtsmittel ergriffen, oder es fehle schlicht an Ressourcen.
Dass die Meinungen nicht ganz so einhellig sind, zeigt ein Facebook-Post des Winterthurer SP-Gemeinderates und Helmpflichtbefürworters Fredy Künzler. Mit seinem 12-jährigen Sohn, der keinen Velohelm mehr tragen wolle, habe er Riesen-Diskussionen. Dem Winterthurer Stadtrat wirft er vor, den Eltern mit dem Nein zur Helmpflicht in den Rücken zu fallen.
Parlamentarische Beratung steht an
Am Montag befasst sich die vorberatende Kommission des Nationalrats mit dem Thema. Die grosse Kammer wird das Geschäft voraussichtlich in der Frühlingssession behandeln.
Wenngleich sich die vier Städte in ihrer gemeinsamen Mitteilung gegen das Helmobligatorium für Jugendliche aussprechen, befürworten sie das freiwillige Tragen eines Velohelms. In dem Communiqué heisst es denn auch, dass ein Velohelm ohne Frage schützt und die individuelle Sicherheit für Velofahrerinnen und Velofahrer erhöht.
Patrick Gut ist Reporter. Nach dem Lizenziat in Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Zürich hat er den Grundkurs am Medienausbildungszentrum (MAZ) absolviert. Seit 1995 arbeitet er als Journalist.
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