Zu Besuch im «teuersten Brocki der Ostschweiz» – seit über 20 Jahren
1996 haben Verena Witschi und Hans Lenggenhager haben die Brockenhalle auf dem Sulzerareal gegründet. Sie sind geblieben, das Geschäft mit Trödel und Raritäten fasziniert sie nach wie vor und haben eine eigene Preispolitik entwickelt.
Kulturkino, Bähnli-Bistro und zuletzt der Skillspark, sie alle locken seit Monaten viel junges und hippes Publikum zum industrie-chicen Lagerplatz auf dem Sulzerareal. Die Brockenhalle hat dort längst die Rolle des gallischen Dorfs eingenommen: rustikal und aus der Zeit gerückt trotzt sie seit 21 Jahren der Dynamik auf dem Areal, und wahrt ihren Charme der überladenen skurrilen Rumpelkammer: Über einem alten Holz-Rechen und dem Kinderwagen aus den 50-ern türmen sich alte Pokale, wer will findet hier – vieles: vom Monokel bis zur zerbeulten Gamelle, vom Kondukteur-Hut bis zu Stoffblumensträussen und Hochzeitskleidern, oder kann zwischen meterlangen Kleiderstangen nach Blusen, Pelzmänteln und Pullovern stöbern. Von der Decke baumelt ein Pink Panther-Stofftier in Lebensgrösse, am Strick.
Herrin und Herr über die über 10 000 Artikel sind Verena Witschi (70) und Hans Lenggenhager (66). 1996 wurden sie in bei der Sulzeren fündig und füllten die 280 Quadratmeter grossen Halle mit Artikeln, mit denen sie vorher schon zusammen von Flohmarkt zu Flohmarkt gezogen waren. Lenggenhager ist schon seit 45 Jahren im Geschäft und führt in Schaffhausen zudem ein Antiquitätenladen. «Selbständiger Unternehmer bin ich und bleibe es», knurrt er, der ständig umhertigert und fluchen kann wie ein Bierkutscher und gefährlich mit dem Augen rollt, wenn er erzählt, stets eine Zigarette im Mundwinkel. Inventarisiert ist in der Brockenhalle nichts. Den Rumpelkammer-Vergleich lässt Lenggenhager dennoch nicht stehen. «An- und Verkauf, 90 Prozent!». Heisst: vieles kauft er Händlerkollegen ab, einiges auch Privaten. Aber Lenggenhager nimmt nicht alles. Es wird hart verhandelt, das verlangt der Berufsstolz.
Rock-Schnüffler ertappt
Auch Witschi redet geradeheraus, nur wohltemperierter. Die Vielfalt sei es, an Menschen und Gegenständen, warum sie immer wieder gerne in die inzwischen ungeheizte Halle komme, wo die Temperaturen im Winter auf acht Grad sinken. «Hier läuft immer etwas» , sagt sie. Manchmal auch Unerwartetes. Ein älterer Kunde zum Beispiel habe regelmässig Nylon-Unterröcke gekauft. Irgendwann habe sie ihn zwischen den Regalen beim Rock-Schnüffeln ertappt – und nur laut geräuspert. Eine Kundin vor Ort sagt, warum sie immer mal vorbeischaut: «Es ist ein klassisches Brocki, nicht so steril wie andere. Häufig findet man etwas Schönes, und wenn nicht, etwas Kurliges» Dann flüstert sie: «Aber die Preise hier sind definitiv zu hoch...».
Dieser Ruf hält sich hartnäckig, obwohl fast überall ein 50-Prozent-Schild dranhängt, ein Teil seiner Verkaufspsychologie, über die Lenggenhager offen Auskunft gibt. «Schreib einen zu hohen Preis an, gibt dem Kunden erst die 50 Prozent und wenn verlangt, noch etwas mehr. Dann lehnt keiner mehr ab. Keiner!» Unter dem Strich erziele er so bessere Preis als die Konkurrenz, und alle seien zufrieden. «Ja, ja, das ‹teuerste Brocki der Ostschweiz› sind wir», schliesst Witschi das Thema ab und lacht.
Aber verhandeln dürfe man hier immer. Fast immer. Raritäten liessen sie sich nicht für Spottpreise abschwatzen, wie es viele versuchten, vor allem die mit grossem Budget. Gewisse Preise seien nun einmal gerechtfertigt. Die Lampe für 560 Franken? Ein Einzelstück. Der Metallkübel für 240 Franken? Patent Ochsner. Witschi nickt eifrig. «Neu kosten diese nur wenig mehr. Das hier aber, das ist der Klassiker!» Die Brockenhäuser sieht Witschi auch als Hüter von Kulturgut. «Wir setzen ein Zeichen für die Umwelt und gegen die Wegwerfgesellschaft». Sie beobachte, und das freue sie, dass alte Bijoux bei den Jungen wieder gefragt seien, zum Beispiel Lampen.
Mieterwechsel in zwei Jahren
Schlecht laufe heutzutage das Geschäft mit Möbeln, immer gefragt seien wiederum Velos und Kleider. Sie kämen gut über die Runden versichern beide. Voraussichtlich in zwei Jahren werden die beiden aus der Halle ausziehen müssen. Spätestens im Sommer 2019 will die Besitzerin, die Basler Stiftung Abendrot, die Halle sanieren, Dach und Fassade neu isolieren und die Heizung ausbauen, wie sie auf Anfrage bestätigt. Geplant war die Sanierung schon drei Jahre zuvor.
Doch Lenggenhager – auch hier ein zäher Verhandlungspartner – hat der Stiftung offenbar den Deal abgerungen, die Sanierung aufzuschieben, dafür würden sie 2019 die Halle endgültig leeren. Die über 10 000 Artikel aus- und wieder einräumen? Lenggenhager verdreht die Augen. Nicht mit ihm. Vereinbart ist alles erst mündlich, fix ist noch nichts, auch nicht, wer ihre Nachfolger sind. Die beiden «Gallier», noch sind sie da.
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