Sweet Home: Besuch auf einer HopfenfarmWo der Geschmack von Bier herkommt
Das Hopfengut No20 am Bodensee bietet den Besuchern ein beeindruckendes Erlebnis.

Am Bodensee gibt es Felder, die über alle anderen herausragen. Grün und üppig wächst da der Tettnanger Hopfen langen Drahtseilen entlang und bis zu acht Meter dem Himmel entgegen. Der Hopfen gibt dem Bier seinen Geschmack. Er wird seit dem Mittelalter angebaut und in der Bierbrauerei eingesetzt.

Zuerst schaffte es der Bitterhopfen ins Bier und verleiht ihm, wie der Name schon sagt, seine Bitterkeit. Diese Bitterstoffe sorgen für die Haltbarkeit der Biere. Ein besonders hopfiges Bier, das seit einiger Zeit wieder sehr begehrt ist, ist das IPA-Bier, das India Pale Ale. Es heisst so, weil die Engländer ihr Bier haltbarer machen wollten, damit sie es mit in ihre Kolonien nehmen konnten. So gaben Sie dem Bier mehr Hopfen und einen höheren Alkoholgehalt. Heute werden in der Craftbeer-Szene mit Vorliebe IPA-Biere gebraut; besonders solche, welche mit Aromahopfen feine Geschmacksnoten bekommen.

Für den Geschmack sorgen die Dolden des Hopfens. Ich konnte auf meiner kleinen Bodenseereise, auf die ich von der Deutsche Zentrale für Tourismus eingeladen wurde, die Tettnanger Hopfenfarm Hopfengut No20 besuchen. Eine junge Mitarbeiterin führte uns durch die Felder, erzählte viel vom Hopfen und zeigt uns hier die Fruchtdolde, die dann im August gereift geerntet wird.
Die Hopfenpflanze ist zweigeschlechtlich, wobei nur die weiblichen Pflanzen Früchte entwickeln. Die männlichen Pflanzen sind auf den Hopfenfeldern unerwünscht; nicht nur weil sie keine Früchte tragen, sondern weil sie, wenn sie die weiblichen Pflanzen befruchten, deren Qualität verändern.
Bier ist eh Frauensache!
Frauen haben nämlich jahrhundertelang Bier gebraut – es war so was wie Brotbacken. Ein Braukessel gehörte nicht selten zur Mitgift. Biertrinken gehörte zum Alltag der ganzen Familie, denn das Bier war – im Gegensatz zum Wasser – durch das Kochen, den Alkohol und den Hopfen keimfrei.
Die Männer begannen in den Klöstern Bier zu brauen, da es dort ja keine Frauen gab. Sie machten es schliesslich als wertvolles Handelsgut zur Männerangelegenheit. Heute entdecken aber auch öfters wieder Frauen den Brauereiberuf und auch das Biertrinken für sich, was sicherlich auch viel mit der grösser werdenden Crafbeer-Szene zu tun hat.

Im Hopfengut No20 wird natürlich auch Bier gebraut. Beim Melon IPA riecht und schmeckt man denn auch die Melone. Dieser delikate Geschmack kommt von den Aromahopfen, welche das Gut produziert.

Hinter der Hopfenfarm Hopfengut No20 stecken das Geschwisterpaar Lukas Locher (im Bild) und Charlotte Müller, die es in vierter Generation von ihren Eltern übernommen haben. Die beiden haben das Gut zu einem gesamtheitlichen Hopfenerlebnis gestaltet. Dazu gehören ein Museum, ein Restaurant, eine Brauerei und ein Shop. Sie verbinden damit die alte Tradition mit neuen Ideen.
Lukas steht hier auf einer Art Pier, das vom Museum aus in einen Hopfengarten führt. So kann man über die acht Meter hohen Hopfen hinausschauen und sieht, wie die grüne Pracht Pflanze für Pflanze je an einem Drahtseil emporrankt.

Die jungen Besitzer betreiben einen umweltbewussten und durchdachten Anbau. Dazu gehören integrierter Pflanzenschutz, ein ausgeklügeltes Nährstoff- und Energiemanagement sowie die optimale Lagerung und Verarbeitung des Aromahopfens. Die Aromahopfen werden nicht nur in Deutschland verkauft, sondern in der ganzen Welt. Lukas erzählte, dass sie auch in Australien, in den USA und in Südamerika viele Kunden haben. Ebenfalls erklärte er, dass die Preise dafür jeweils im Voraus auf eine bestimmte Zeit ausgehandelt werden. Die Preise unterscheiden sich von Jahr zu Jahr und das Aushandeln kann mal für den Farmer und dann wieder für den Brauer von Vorteil sein.

Wie das alles vor sich geht und wie es einmal war, ist im Museum erlebnisnah dargestellt. Ein kleiner, unter dem Scheunendach abgespielter Film zeigt die Ernte. Im Hopfengut wird übrigens auch ein Bier gebraut, das «Heisse Ernte» heisst, wie der gleichnamige Film aus den Fünfzigerjahren. Dieser Film war eine Art deutsche Antwort auf den italienischen, neorealistischen Film «Bitterer Reis». Die dramatische Geschichte spielt rund um die Tettnanger Hopfenerde.

Diese Ernte, die bis in die Fünfzigerjahre auch auf dem Hopfengut No20 noch von Hand durchgeführt wurde, war auch eine Art Heiratsmarkt. Der «Hopfengickeler» löste mit einem Haken die Drähte, sodass die «Hopfenbrockerinnen» die Dolden von Hand ablesen konnten. Dabei halfen ihnen junge Männer, die «Ästlebrocker». Während der Arbeit kamen sich die jungen Frauen und Männer näher, was oft in einer Heirat endete.

Die Landarbeiterinnen und Landarbeiter wurden für die Hopfenernte täglich mit einer Art Spielgeld bezahlt, das Sie dann am Schluss der Ernte in echtes Geld eintauschen konnten. Diese Methode verhinderte, dass alle gleich ihr Geld in Bier umsetzten und durch den Alkoholkonsum eine erfolgreiche Ernte gefährdeten.

Die gemütliche Gaststätte ist schön eingerichtet und hat auch einen hübschen Biergarten. Auf der Karte sind natürlich nicht nur die hauseigenen Biere zu finden, sondern auch typische Spezialitäten der Gegend, wie Käsespätzle, Flammkuchen aus dem Steinofen, Maultaschen, Salate und vieles mehr.

Alles ist liebevoll und stilsicher gestylt. Da hat es alte Hopfenkörbe, die Wände sind mit Bierschildern geschmückt und in den Toiletten ist gar eine alte Wäscheszene ausgestellt.

Begeistert hat mich auch der Shop, der sich in einem stilsicheren Look präsentierte. Ich war beruflich schon in vielen Craftbeer-Brauereien. Dominierend ist meist ein «Surf-Skater-Tattoo-Jungs-lieben-Bier-und-Fun»-Stil zu sehen. Dieser ist aber meiner Meinung nach schnell ein bisschen outdated, so ähnlich wie wenn der Jugend entwichene Männer mit kurzen Hosen, ungebügelten T-Shirts und Flipflops durch die Gegend ziehen.
Nicht so das Erscheinungsbild des Hopfenguts No 20. Es ist chic, frisch und modern. In diesem Sinn lädt auch das Angebot zum Shopping ein. Ich, die kein Bier mit im Gepäck nach Hause schleppen wollte, habe süssen Biersenf, Honig, einen inspirierenden Bodensee-Führer und einen Bier-Krimi gekauft.

Die Idee, den Hopfen und das Bier stärker zusammenzubringen, ist Lukas Locher und Charlotte Müller gelungen. Ein bisschen wie bei einem Weingut, bei dem Winzer Trauben und Wein produzieren, machen die beiden ihr Produkt, den Hopfen, mit handwerklich hergestelltem Bier, kulinarischen Genüssen, einer langen Geschichte und wunderschöner Natur zum Erlebnis. Dazu gehört auch der Tettnanger Hopfenpfad, bei dem man durch die weite Landschaft spazieren kann – von einer Brauerei mitten im Städtchen Tettnang bis zum Hopfengut No20 und wieder zurück. Und im August kann man dabei sogar die Hopfenernte sehen.
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